Ein Fenster zu Picasso

Hamburg · Aus Hunderten verschiedener Blickwinkeln ist Picassos Werk in Ausstellungen weltweit schon gewürdigt und untersucht worden. Erstmals rückt jetzt das Bucerius Kunst Forum in Hamburg das Fenster als motivische Konstante seines Gesamtwerks in den Fokus.

 Robert Doisneau fotografierte Pablo Picasso 1952 an einem Fenster. Foto: R. Doisneau/Rapho

Robert Doisneau fotografierte Pablo Picasso 1952 an einem Fenster. Foto: R. Doisneau/Rapho

Foto: R. Doisneau/Rapho

Blaue Periode, Rosa Periode, Kubismus, Flirt mit dem Surrealismus und schließlich die Hinwendung zu einer eher klassischen Neu-Interpretation großer Meisterwerke der Kunstgeschichte und existenzieller Menschheitsthemen: Das Werk Pablo Picassos (1881-1973) wird gerne in Perioden unterteilt, die einander ablösen und jedes Mal ganz neue Aspekte seines Schaffens hervorbringen. Diese Art der Periodisierung hat sich seit Jahrzehnten etabliert, vielleicht auch weil sie so schön einfach ist.

Am Hamburger Bucerius Kunst Forum versucht man jetzt, sich dem Gesamtwerk auf ganz andere Art und Weise zu nähern. Und zwar über ein einziges zentrales Motiv, das sich durch alle Schaffensperioden verfolgen lässt: das Fenster. Die prägnant zusammengestellte Schau "Picasso. Fenster zur Welt" versammelt rund 40 Arbeiten aus der gesamten künstlerischen Laufbahn des spanischen Jahrhunderttalents. Zu sehen sind Gemälde, Zeichnungen und druckgrafische Werke aus den Picasso-Museen in Barcelona, Malaga, Paris und Münster, aber auch hochkarätige Leihgaben aus der Tate, London, dem Museum of Modern Art, New York, dem Centre Pompidou, Paris, und zahlreichen Privatsammlungen. Ergänzt werden die Werke Picassos um rund 50 Fotografien aus dem Atelier von berühmten Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau oder David Douglas Duncan.

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen galt Picasso als außerordentlich häuslicher Künstler. Lediglich in der Zeit vor 1936 unternahm er ein paar Reisen nach Italien, England und Spanien. Danach bewegte er sich fast nur noch zwischen Paris und der Côte d'Azur. Landschaften hat er kaum gemalt. Die meisten seiner Bilder entstanden also in geschlossenen Räumen. Fast zwangsläufig geriet durch diese Arbeitsweise das Fenster als Membran zwischen Innen und Außen ins Zentrum seines Interesses. Das Fenster galt daher für Picasso als das Symbol seiner Malerei schlechthin. Die Ausstellung setzt ein mit einem kleinformatigen Ateliergemälde, das um 1900 in Barcelona entstand. Das zentrale Fenster, so die Ausstellungsmacher, lässt sich auch als Rückseite einer Leinwand deuten. Somit thematisiert der Künstler mit dem Fenstermotiv auch ein Nachdenken über sich selbst.

Das Fenster fungiert bei Picasso sowohl als raumstrukturierendes Element als auch als Scharnier zwischen Innenwelt und Außenwelt. Sein 1939 entstandenes Gemälde "Liegende mit Buch" zum Beispiel zeigt eine blau gewandete Blondine, die lesend auf einem roten Diwan liegt. Im Hintergrund ist ein großes, dreiflügeliges Fenster zu sehen, welches jedoch, abgesehen von dem lediglich angedeuteten Gipfel eines Hügels, keinerlei Aussicht zeigt. Der kubistisch aufgefassten Frau scheinen die von der Außenwelt abgewandte Lektüreerfahrung und die unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Betrachter wichtiger zu sein als der Blick nach draußen, blickt sie doch mit dem einen Auge in ihr aufgeschlagenes Buch und mit dem anderen offensiv aus dem Bildraum heraus.

Trotz aller kunsttheoretischen Aufladung, die diese sorgfältig erarbeitete und durch ein international besetztes Symposium profund vorbereitete Ausstellung vermittelt, hatte das Malen von Fenstern für den Machertyp Picasso mitunter auch etwas sehr Pragmatisches: "Ich gehe mit dem Malen um, wie ich mit Dingen umgehe, ich male ein Fenster genauso, wie ich aus einem Fenster blicke. Wenn ein offenes Fenster auf einem Bild falsch aussieht, ziehe ich den Vorhang auf und schließe es, so wie ich es auch in meinem eigenen Zimmer tun würde."

Bis 16. Mai. Täglich 11-19 Uhr. Do: 11-21 Uhr.

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