Brauchen wir mehr Kulturpatriotismus? „Dürfen wir unser Land lieben?“

Saarbrücken · In ihrem Buch „Deutsch, nicht dumpf“ wirbt Thea Dorn für einen kritischen Verfassungspatriotismus der Deutschen.

 Der fruchtbarste deutsche Mythos ist der der „Kulturnation“. Deren Inbegriff ist für Dorn Thomas Mann. Er sagte:„Unter uns Deutschen scheint Grundgesetz, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird; wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren, das heißt der Barbarei oder biederer Unbeträchtlichkeit anheimfallen wird.“ 

Der fruchtbarste deutsche Mythos ist der der „Kulturnation“. Deren Inbegriff ist für Dorn Thomas Mann. Er sagte:„Unter uns Deutschen scheint Grundgesetz, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird; wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren, das heißt der Barbarei oder biederer Unbeträchtlichkeit anheimfallen wird.“ 

Foto: dpa

In einem „Zeit“-Interview hat Thea Dorn vor einigen Monaten einen wichtigen Gedanken ausgeführt. Im Grunde fasst er die Essenz ihres jüngsten Buches „Deutsch, nicht dumpf“, in dem sie für einen aufgeklärten Patriotismus wirbt (und sich an der Frage abarbeitet, warum das hierzulande bis heute vielen schwer fällt), gut zusammen. „Patriotismus ist für mich kein Tabubruch, sondern eine Ermahnung an diejenigen, die sich 24 Stunden am Tag mit ihrer eigenen Befindlichkeit beschäftigen. Gerade im gut situierten, neubürgerlichen Milieu sollte man zur Kenntnis nehmen, dass das Individuum in den freien Gesellschaften für mehr als für die Planung seiner Wellnesswochenenden verantwortlich ist.“ Der Satz sitzt. Und eine wichtige Einsicht enthält: dass der Verlust des Gemeinsinns ein heutiges Kernproblem ist. Wenngleich nicht nur der deutschen, sondern aller westlichen Gesellschaften (und wohl nicht nur dieser).

Natürlich kann man grundsätzliche Einwände hegen gegen den Versuch Thea Dorns, uns als Mittel gegen den immer grenzenloseren Individualismus nun ausgerechnet mehr Kulturpatriotismus verschreiben zu wollen. Sich verantwortlich zu zeigen für ein Gemeinwesen, muss nicht einhergehen mit dem Teilen dessen, was uns in Gestalt ominöser Leitkultur-Debatten begegnet. Nichtsdestotrotz trägt der in ihrem Essay unternommene Ansatz der Schriftstellerin Dorn, die man auch aus dem „Literarischen Quartett“ des ZDF kennt. Fernab jedweder Deutschtümelei gelingt ihr eine kritische Bestandsaufnahme dessen, was im positiven Sinne als „typisch deutsch“ gelten kann. Was ihr Buch umso interessanter macht, ist, dass dies, zumal in intellektuellen Kreisen, immer noch als Wagnis gilt.

Dies erklärt, weshalb Dorn argumentativ Mal um Mal klare Trennlinien zu dem zieht, was im Dunstkreis der AfD-Wählerschaft in oft chauvinistischer Weise als Patriotismus begriffen und kolportiert wird. Damit hat sie nichts zu schaffen. Vielmehr rekurriert Dorn auf die deutsche Kulturnation, wenn sie schon im ersten Satz ihres Buches die für manch einen immer noch ketzerische Frage stellt „Dürfen wir unser Land lieben?“ Ja, meint Dorn – sofern wir es nicht bei plumpen Abziehbildern belassen, sondern „uns Klarheit darüber verschaffen, was wir konkret meinen“. Dorn kommt dabei zugute, dass sie der „deutschen Seele“ 2011 schon einmal in einem gleichnamigen, mit Richard Wagner verfassten Brevier auf den Grund ging, das in 64 Einträgen von Abendrot bis Zerrissenheit deutsche Gefühls- und Lebenslagen einfing.

Im zweiten der acht Kapitel ihres jüngsten Plädoyers für einen citoyenhaften Patriotismus kommt sie auf die geistesgeschichtliche Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation zu sprechen, die in Deutschland seit Luther und Kant virulent war. „Kultur weiß, wo sie herkommt; Zivilisation weiß, wo sie hinwill“, bilanziert sie diese urdeutsche Debatte, um sie abzuschütteln. Hält sie es doch „für die Schicksalsfrage der gegenwärtigen Menschheit, ob es uns gelingen wird, nicht abermals einen erbitterten Gegensatz zwischen Zivilisation und Kultur zu konstruieren“. Weshalb sie in Abgrenzung vom Begriff der Leitkultur den der „Leitzivilität“ auflegt und damit die Akzeptanz der zivilrechtlichen Standards offener, liberal-demokratischer Gesellschaften meint. Sprich: Alltagszivilität im Sinne eines gelebten Grundgesetzes.

Dass die abgründige Geschichte der Deutschen, die in deren millionenfacher Hitler-Gefolgschaft kulminierte, bis heute ein Bekenntnis zur Nation unmöglich macht, hält Dorn für unbegründet, solange diese historische Wunde nicht ad acta gelegt wird. Umgekehrt aber müssten die Deutschen nicht bis in alle Ewigkeit das pflegen, was Elfriede Jelinek einmal den „Sündenstolz“ der Deutschen genannt hat. Immer dann, wenn man sich beim Lesen ihres launigen Essays zu stören beginnt an dessen kursorischem Abdriften in eine Pseudo-Analyse aller erdenklichen Zeitphänomene (ob Islamismus, Identitäre Bewegung, EU-Bürokratie oder das Selbstbild der Bundeswehr), überrascht die 47-Jährige doch wieder mit erhellenden Einwürfen, in denen ihr philosophisches Rüstzeug (ob Kant, Wittgenstein und Adorno, ob Norbert Elias, Ernst Bloch oder Helmuth Plessner) die Argumentation erdet. Etwa, wenn sie mit Elias ein „Wir-schwaches-Ich“ als typisches Phänomen offener Gesellschaft ausmacht (im Gegensatz zum „Ich-schwachen-Wir“ in traditionalistischen oder totalitären). Oder sie mit Jean Améry ausruft: „Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben.“

Wo Heimat eher Sinnliches wachruft (Geschmäcker, Düfte, Klänge, Bilder), fußt das, was Dorn „kulturelle Identität“ nennt und für mindestens ebenso bedeutsam erachtet, auf geistigen, künstlerischen Traditionen. Kein Wunder also, dass Goethe, Nietzsche und Thomas Mann reihum durch die 334 Seiten geistern. Weite Teile des Buches dienen Dorn dazu, jene Geistestraditionen hervorzukehren, die uns Anlass zu „Nationalstolz“ sein könnten.

Allein: Die Grundfrage, ob heute nicht doch ein aufgeklärter Kosmopolitismus zeitgemäßer ist als kulturbeflissene Vaterlandsliebe, wird von Dorn nicht wirklich beantwortet. Dass die Autorin, „solange die Bürger Europas nicht fühlen und erkennen, dass sie zusammengehören“, letztlich der Nation den Vorzug gibt, liegt auch daran, dass sie den Rechten nicht die Deutungshoheit hierüber überlassen will.

Thea Dorn. Deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten. Knaus, 334 Seiten, 24 €.

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