Bildende Kunst Doppelpass mit Pinsel und Palette

Frankfurt · Das Frankfurter Städel würdigt in einer opulenten Schau die langjährige Malerfreundschaft zwischen Henri Matisse und Pierre Bonnard.

 Henri Matisse’ „Großer liegender Akt“ (1935), der von Pierre Bonnards „Liegenden Akt“ (unten) inspiriert worden zu sein scheint.

Henri Matisse’ „Großer liegender Akt“ (1935), der von Pierre Bonnards „Liegenden Akt“ (unten) inspiriert worden zu sein scheint.

Foto: The Baltimore Museum of Art, The Cone Collection © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Foto: Mitro Hood

Gleich zum Auftakt hängen im Städel zwei Werke, die die beiden Malerfreunde voneinander besaßen und die sie beide ein Leben lang begleiteten: Pierre Bonnards Interieur „Abend im Wohnzimmer“ hütete Henri Matisse (1869-1954); dessen 1911 entstandenes Gemälde „Das offene Fenster“ wiederum hatte der zwei Jahre ältere Bonnard (1867-1947) im Jahr darauf gekauft. Während Bonnards Genrebild eine an Edvard Munch erinnernde Düsternis ausstrahlt, badet Matisse’ lichtgesättigtes „Bild im Bild“ förmlich in schrillen Pastelltönen. Schon in dieser ersten Gegenüberstellung wird nicht nur ihr unterschiedliches Malernaturell deutlich, sondern auch ihre je ganz eigene Handschrift. Während Bonnards malerisches Werk von Rückzug und Intimität geprägt ist und Lakonie und Schwermut atmet, wirkt Matisse’ Malerei geradezu unbeschwert, zupackend und überschäumend-farbig.

Hervorragend gelingt es Felix Krämer (inzwischen Direktor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast) und Daniel Zamani, den beiden Kuratoren der üppigen Städel-Schau, das künstlerische Schaffen der über vier Jahrzehnte befreundeten Maler, die nur 30 Kilometer voneinander entfernt an der Côte d’Azur lebten, anhand von 120 Werken (überwiegend Gemälde, dazu Zeichnungen, Grafiken und ein paar Skulpturen) sinnfällig einander gegenüberzustellen. Als klug erweist es sich, die Bezüge mittels thematischer Werkgruppen aufzudröseln – von den Interieurs über Stillleben und Porträts bis hin zur Aktmalerei. Darunter viele hochkarätige Leihgaben aus namhaften Sammlungen.

Bonnards Werken ist das Skrupulöse seines Wesens geradezu eingeschrieben. Schon seine frühen Interieurs, wie etwa das eine Lesende am Fenster zeigende „Wintertag“ (circa 1905), sind atmosphärisch meisterlich aufgeladen und scheinen immerzu von Vergeblichkeit und Fremdheit zu künden. Gedeckte Brauntöne überwiegen in Bonnards flirrend anmutender, feinporiger Leinwandwelt, die sich oft gleichsam hinter einem unsichtbaren Schleier zu verbergen scheint. Ganz anders Matisse, der nicht nur in seinem Auftreten den Gestus eines Alphatieres hatte, sondern in seiner leuchtenden Bildsprache eine unerhört energische Klarheit ausdrückt und, verglichen mit dem filigraner arbeitenden Bonnard, kompositorisch sehr viel geradliniger wirkt. Wobei verschiedentlich anklingt, dass Matisse in seinem Hang zur geometrischen Abstraktion vom Kubismus geprägt war.

Dass ausgerechnet diese beiden, denkbar gegensätzlichen Charaktere, bis nach dem Zweiten Weltkrieg in ständigem Briefwechsel standen und sie ihre künstlerische Entwicklung gegenseitig sehr aufmerksam verfolgten, mag zunächst verwundern. Doch arbeitet die Schau ihre untergründigen Verbindungen – maßgeblich die Flächigkeit des Farbauftrags, die irritierende Planheit der Raumgestaltungen, dazu beider beharrliche Pflege klassischer Sujets und die Wertsetzung des Atmosphärischen als Botschafter von Innenwelten – auf beeindruckende Weise heraus. Seit den 20er Jahren lebten beide im Südfranzösischen – besucht haben sie sich gleichwohl eher selten. Während Matisse bis heute als Wegbereiter der Moderne gehuldigt wird, ist Bonnard zu Unrecht als Post-Impressionist und Mann der verhaltenen Zwischentöne abgehakt worden. Tatsächlich wirkt Matisse’ Pinselstrich sehr viel expressiver, sind seine Kompositionen aufs Wesentliche reduziert – seine scharf konturierten Frauenakte, die „Odalisque“, zeigen dies ebenso wie seine klar aufgebauten Landschaftsbilder. „Es ist mir unmöglich, die Natur sklavisch nachzuahmen, ich muss sie interpretieren und der Bildidee unterwerfen“, schrieb Matisse schon 1980 in seinen „Notizen eines Malers“.

Bonnard, der sich mit den Jahren immer schwerer damit tat, seine Bilder zu beenden, war ein solch’ offensiver, zu kühner Vereinfachung drängender Gestaltungswille gänzlich fremd. Man sieht Bonnards Bildern immer wieder an, wie sehr es ihm auf fast manische Weise um das Vermeiden von Eindeutigkeit ging. Opheliahaft liegt seine Frau Marthe, jahrzehntelang Bonnards nahezu einziges Modell, in einem der hinreißendsten Werke der Schau (dem zwischen 1937 und 1939 entstandenden Gemälde „Die große Badewanne“) im Wasser einer Baignoire, wobei ihre Silhouette unmerklich verschwimmt. Auch in dem einige Jahre zuvor entstandenen „Akt vor dem Spiegel“ lässt er die Frauenfigur (abermals Marthe) in den Bildgrund übergehen. Was so entsteht, ist – wie es in den Erläuterungen der Kuratoren treffend heißt – „ein brillantes Netzwerk sich entmaterialisierender Objekte“. Auch der Teppich, Hocker und Tisch neben dem Akt lösen sich in zarten, irisierenden Farbfeldern auf. Vergrößert man Detailaufnahmen des Gemäldes (Fotografieren ist erlaubt), offenbart sich die züngelnde Nuanciertheit von Bonnards Farbflächen. Liegt es daran, dass seine Werke bewegter wirken (und bewegender sind) als die von Matisse?

„Unwahrheit ist, ein Stück Natur auszuschneiden und zu kopieren“, schrieb Bonnard an Matisse. So selbstvergessen und märchengleich, wie er seine Figuren in farblich explodierende Landschaften platziert, begriff er (Natur-)Räume als Spiegelbilder und Emanationen des Inneren. Der Weg nach Frankfurt, er lohnt.

 Pierre Bonnards „Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund“ entstand um 1909. 

Pierre Bonnards „Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund“ entstand um 1909. 

Foto: Städel Museum, Frankfurt, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Städel Museum
 Pierre Bonnards Gemälde „Akt vor dem Spiegel“ von 1931, für das seine Frau Marthe de Montigny – wie fast immer bei Bonnard – dem Maler Modell stand.

Pierre Bonnards Gemälde „Akt vor dem Spiegel“ von 1931, für das seine Frau Marthe de Montigny – wie fast immer bei Bonnard – dem Maler Modell stand.

Foto: Photo Archive - Fondazione Musei Civici di Venezia © VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Foto: Claudio Franzini

Bis 14. Januar. Di, Mi, Sa und So: 10-18 Uhr, Do und Fr: 10 bis 21 Uhr. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet in der Ausstellung 39,90 €.

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