Die Schüsselfigur des Historikerstreits

Berlin · Es war eine der brisantesten Debatten seit Gründung der BRD: Vor 30 Jahren löste der Geschichtswissenschaftler Ernst Nolte den deutschen Historikerstreit aus. Für Empörung sorgte vor allem seine These, die Ermordung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland habe ihren Ursprung in den Verbrechen der sowjetischen Kommunisten. Der langjährige Professor an der Freien Universität Berlin verharmlose die Nazis und begebe sich in die Nähe der Holocaust-Leugner, lautete damals der zentrale Vorwurf. Gestern ist Nolte nach kurzer Krankheit mit 93 Jahren in Berlin gestorben.

Noltes Behauptungen gelten in der Historiker-Zunft inzwischen als widerlegt. Dennoch hielt der Zeitgeschichtler auch in späteren Veröffentlichungen an seinen Thesen fest und isolierte sich damit in der Fachwelt zunehmend. Auslöser des Historikerstreits war 1986 ein in der "FAZ" unter dem Titel "Vergangenheit, die nicht vergehen will" erschienener Artikel Noltes. Hitler sei eine Reaktion auf Lenin gewesen, führte er dort aus. "War nicht der ,Archipel Gulag" ursprünglicher als Auschwitz"? Der Philosoph Jürgen Habermas bezichtigte Nolte in der "Zeit" daraufhin unter dem Titel "Eine Art Schadensabwicklung" des Revisionismus. Mit der Deutung des Nationalsozialismus als Antwort auf die bolschewistische Bedrohung mache Nolte Hitlers Verbrechen "mindestens verständlich". "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein warf Nolte vor, das Bürgertum, die Generalität und den Massenmörder Hitler zu entlasten. Der viel Gescholtene blieb unbeirrt, rückte nicht ab von seinen Thesen. Im Ergebnis, bilanzierte später der Historiker Heinrich August Winkler, habe die Auseinandersetzung um Ernst Noltes Thesen einen Wandel in der politischen Kultur beschleunigt und die "vorbehaltlose Öffnung" der Bundesrepublik gegenüber dem Westen gefestigt.

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