Deutsche Radio Philharmonie Die Kunst, das Schwere leicht zu machen

Saarbrücken · Das Saarbrücker Publikum feierte gestern Morgen den neuen DRP-Chefdirigenten Pietari Inkinen. Trotz schweren Programmes.

 Der Finne Pietari Inkinen gestern morgen bei seinem Einstandskonzert mit der Radio Philharmonie.

Der Finne Pietari Inkinen gestern morgen bei seinem Einstandskonzert mit der Radio Philharmonie.

Foto: Astrid Karger

Hesse stand am Morgen auf dem Kalenderblatt. Passt doch: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Auch wenn, na ja, schon mal mehr Anfangszauber bei einem neuen Chefdirigenten war. Programmatisch zumindest. Alban Bergs Violinkonzert, im Grunde ein neutönendes Requiem auf eine junge, durch Krankheit hingeraffte Frau, dazu die Uraufführung eines zeitgenössischen Komponisten: Klingt schon mächtig nach Staatsrundfunkorchester mit Bildungsauftrag statt nach funkelndem Dirigenten-Einstand.

Aber: Erstens ist die Deutsche Radio Philharmonie (DRP) ein Rundfunk­orchester. Darf und soll ihr Publikum also auch fordern. Und, zweitens, kommt’s immer darauf an, was man daraus macht. Pietari Inkinen hat jedenfalls mit seinem ersten Konzert als DRP-Chef gestern in der Saarbrücker Congresshalle einen Markstein gesetzt. „Full house“ hieß es dort übrigens, wie Inkinen erfreut bemerkte.

Vielleicht ist der 37-Jährige kein solcher Soundfetischist, auch kein manischer Detailarbeiter wie sein Vorgänger Karel Mark Chichon, doch ein Spannungsvirtuose, der einem eine Beethoven-Sinfonie verdichten kann als sei sie Kammermusik, ist er. Auch wenn es hier „nur“ die eher ungeliebte Vierte war, die dem Sinfonie-Titan überraschend leicht geriet. Aber so dirigierte Inkinen sie auch: pathosfrei, luzide und mit richtig Zug. Bravo!

Ganz sicher ist der Finne auch ein Liebhaber des Wohlklangs. Um das zu wissen, braucht man eigentlich nur acht Minuten. Jene acht Minuten, die Einojuhani Rautavaaras „In the beginning“ währt. Das Stück, eine sinfonische Miniatur, hat der große finnische Komponist kurz vor seinem Tod 2016 noch geschrieben. Auf Anregung seines Landsmannes Inkinen. Aus mystisch, dunklen Streicherflächen erhebt sich – wie aus einer Morgendämmerung der sonnige Tag – helles Strahlen. Unwiderstehlich in seiner Steigerung ist das wie Ravels „Bolero“. Und ähnlich abrupt im Finale. Dabei sind die DRP-Streicher so dicht, von Inkinen so magisch verwoben, dass „In the beginning“ unendlich dauern könnte.

Man sitzt dabei übrigens deutsch: Erste und zweite Geigen also vis à vis. Inkinen bevorzugt diese Orchesterplatzierung vor allem bei den großen „B’s“ wie Beethoven, Brahms und Bruckner. Alban Berg darf man getrost dazu nehmen. Frappant aber, wie modern im Vergleich zu Rautavaaras beinahe spätromantischem Duktus sich Bergs Violinkonzert auftürmt. Obwohl es doch 80 Jahre älter ist. Verkehrte Zeitläufte. Nein, es ist kein leichtes Werk. Berg komponierte es in Erinnerung an Manon Gropius, die Tochter des Bauhaus-Meisters und von Alma Mahler-Werfel. 18 Jahre bloß, starb sie an Kinderlähmung. Dabei ist es trotz Zwölfton-Technik, die oft als verkopft geschmäht wird, eine seelenrührende Klage. Und für die Solistin Hexenwerk, just im zweiten, diesem Wirbelwind-Part. Bis mit dem Bach-Choral „Es ist genug“ die unermessliche Trauer endlich eine Art Ventil findet. Carolin Widmann spielt das grandios, mit reicher Expressivität. Sie schafft es, der Schicksalshärte den nötigen rauen Ton zu geben. Ihr geht‘s nicht um Schönheit, sie will Wahrhaftigkeit. Die DRP ist ihr dabei kongenialer Begleiter, von Inkinen, selbst ein Ausnahme-Geiger, mit sensiblem Dirigat stets auf Augenhöhe gehalten. Und nach dieser übermächtigen Klage ist es fast tröstlich, dass Carolin Widmann den reinen Bach-Choral als Zugabe noch einmal spielt gemeinsam mit Solo-Bratscher Benjamin Rivinius. Anspruch mit Klasse also: So darf es gerne weitergehen.

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