ARD-Hörspieltage in Karlsruhe Orchideenfeier im Ohrensessel

Karlsruhe  · In Karlsruhe laufen noch bis Sonntag die ARD-Hörspieltage – alle zwölf Nominierungen sind online zu hören.

 In Karlsruhe mit dabei: Das Saarbrücker „Liquid Penguin Ensemble“.

In Karlsruhe mit dabei: Das Saarbrücker „Liquid Penguin Ensemble“.

Foto: LPE

Vor 33 Jahren schrieb der damalige Hörspielchef des Hessischen Rundfunks Christoph Buggert in „Geisel Hörspiel“, einer beißenden Verteidigungsschrift zur Rettung der Kunstform Hörspiel: „Wer heute Fernseh- und Hörfunkprogramme reformieren will, der fragt nur zaghaft nach dem statistisch unerfassten Wunschpotential des Publikums, der fragt allenfalls nebenbei nach den frustrierten (oder vorsorglich gar nicht mehr vorhandenen?) Berufsidealen der Programmmacher. Vielmehr begibt er sich schnurstracks zu den Kollegen von der Medienforschung, die sich durch ihre Viertelstundenreichweiten zu weisen Ratschlägen inspirieren lassen.“ Sätze, die heute noch wahrer klingen als 1985.

Mehr denn je stehen die vielerorts dezimierten Hörspielredaktionen der ARD-Sender unter Rechtfertigungsdruck: An Quoten bemisst sich ihren Stellenwert. Quantität legt Qualität fest. Wie schrieb Buggert?: „Hörfunk als ,Easy Listening’- oder ,Second-hand-Medium’, als Laufbandprogramm zum Nebenbeihören – das reicht auch in den öffentlichrechtlichen Anstalten vielerorts als Programmphilosophie. Dasselbe aus der Perspektive des Hörspiels gesagt: Vielleicht wird sich in Zukunft zeigen, dass konsequent kulturgeprägte Programme ein Fremdkörper im Medium Rundfunk sind.“ Nicht erst 2018 ist es im Wesentlichen so gekommen.

Dass das Hörspiel dennoch alles andere als tot ist, zeigen gerade einmal mehr die ARD-Hörspieltage, die in dieser Woche im Karlsruher ZKM den roten Teppich ausrollen für eines der beliebtesten Rotstiftopfer in den Programmuniformierungsetagen. Eine Karlsruher Orchideenfeier also. Dazu muss man nur daran erinnern, dass die zehn ARD-Sender, die seit 1977 jeden Monat aufgefordert sind, ihre jeweiligen Neuproduktionen für das von der Deutschen Akademie für Darstellende Künste verliehene „Hörspiel des Monats“ einzureichen, genau dazu längst nicht mehr jeden Monat in der Lage sind. Weshalb durchschnittlich nur noch rund 100 Hörspiele pro Jahr überhaupt zur Wahl stehen.

Dass und wie sehr das Hörspiel allen Unkenrufen zum Trotz unbedingt auch in diesen weichgespülten Radiozeiten weiterhin seine Berechtigung hat und haben muss, lässt sich mit einem einzigen Klick selbst erkunden: Auf der Homepage der ARD-Hörspieltage sind alle für den Deutschen Hörspielpreis nominierten zwölf Produktionen abrufbar. Eine der zwölf Nominierungen ist eine SR-Produktion: Christoph Buggerts „Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche“ zeigt, welches enorme suggestive Potenzial das Hörspiel immer noch hat. Buggert war in seiner HR-Zeit nicht nur einer der ausdauerndsten Wegbereiter der Hörspielkunst, sondern hat selbst auch rund 20 Hörspiele verfasst.

Für sein jüngstes wünschte er sich als Realisator das Saarbrücker Liquid Penguin Ensemble, das seinerseits mehrfach den größten Lorbeer der Hörspielbranche erhalten hat: den Preis für das (aus den „Hörspielen des Monats“ gekürte) „Hörspiel des Jahres“. 2009 gewannen die Penguine Katharina Bihler & Stefan Scheib ihn für „Au bout du monde“ und 2014 für „Ickelsamers Alphabet“. Nun haben sie mal kein eigenes Stück realisiert, sondern Buggerts autobiografische Vorlage kongenial umgesetzt: Die thematisiert in 15 Hörbildern nicht nur, wie Geräusche (Kriegs-)Erinnerungen konservieren und ein wahrhaftiges Eigenleben führen, sie reflektiert zugleich (in der fiktiven Konfrontation eines Autors mit einem Regisseur) grundlegende Fragen des Mediums. „Fast alles wird falsch erzählt. In der Erinnerung sind wir entweder Helden oder Opfer. Dabei stimmt keines von beiden. Man ist nichts“, befindet der Autor. Man hört „Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche“ am besten störungsfrei: Augen zu, Sessel, Kopfhörer. Man wird reich belohnt: Den Penguinen gelingt ein Hörspiel von klaustrophobischer Eindringlichkeit, stimmlich mit Wolf-Dietrich Sprenger und Christiane Motter hervorragend besetzt. Mehr Ausdruck, als Sprenger seiner Figur verleiht, lässt sich kaum denken.

Es gibt weitere Hörspiel-Entdeckungen in Karlsruhe (oder per Klick) zu machen: etwa Hermann Kretzschmars abgedrehte, dadaistische Wort- und Klang-Collage „Das Bad im Knall: Eine Phänomenologie der Kürze in 39 Versuchen“ (Produktion: SWR), die eine Ahnung gibt von den Möglichkeiten des Genres. Kretzschmar, Mitglied des der Neuen Musik verpflichteten „Ensemble Modern“, türmt über einem Selbstmörder-Text von Erich Mühsam eine lautmalerische Komposition auf, die etwas Anarchisches hat. Das neben der SR-Produktion vielleicht interessanteste, innovativste Hörspiel ist Jakob Noltes „Unbekannte Meister 4: Eine Einführung in das Werk von Klara Khalil“ (BR) – eine hintersinnige, köstliche Parodie auf Radio-Features. Sie kreist um eine erfundene Künstlerin, die sich angeblich umbrachte und Tausende nie gesendeter Werbe-Clips hinterließ. Noltes Fake-Feature spielt in simulierter Ernsthaftigkeit gekonnt auf der Klaviatur pseudointellektueller Mediendebatten – kulminierend in der Frage, ob Werbung (gemeinhin Inbegriff von Falschheit) nicht in einer Welt absoluter Käuflichkeit am Ende die ehrlichste Kunstform ist.

Gleich mehrere nominierte Hörspiele widmen sich dem Thema Migration: „Mein fremdes Land“ von Leyla Rabih und Mohammad al Attar (Produktion: rbb), Necati Öziris „Get deutsch oder die tryin’“ (WDR), Magda Woitzucks „Die Schuhe der Braut“ (ORF) und „Gespräche über uns: Unfinished business“ (MDR). Am Ergiebigsten tut dies letzteres mittels der Schilderung typischer Konflikte zwischen einer deutschen Helferin und einem somalischen Flüchtling. Müller gelingt ein Lehrstück über die Schwierigkeit, Kulturen zu synchronisieren und unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden.

Alle Infos: www.hoerspieltage.ard.de  – dort sind auch alle Hörspiele abrufbar.
Am Samstag wird der Hörspiel-Publikumspreis vergeben, für den sich heute noch online abstimmen lässt.
Für Kinder gibt es am Sonntag in der Karlsruher Hochschule für Gestaltung den ARD-Kinderhörspieltag: Neue Kinderhörspiele sind zu hören, zum Teil live inszeniert.
Am Montag referiert Jochen Meißner, einer der besten Hörspielkenner, um 20 Uhr im Saarbrücker Künstlerhaus über die Geschichte des „Neuen Hörspiels“ seit 1968.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort