Der Militärbeobachter auf den Schlachtfeldern des Glücks

Saarbrücken · Nicht erst seit seinem letzten Roman „Unterwerfung“ von 2015, in dem er einen Muslim Frankreich regieren lässt, polarisiert Michel Houellebecq wie neben ihm wohl kein zweiter zeitgenössischer Autor. Heute feiert – oder muss man bei ihm sagen: erleidet? – er seinen 60. Geburtstag. Eine Würdigung.

In "Die Möglichkeit einer Insel", einem seiner weniger bekannten Romane, schreibt Michel Houellebecq, Künstler ließen sich in zwei Kategorien einteilen. In Revolutionäre und Dekorateure. Seine Hauptfigur Daniel, die in vielem an den Misanthropen Houellebecq selbst erinnert, macht aber noch eine dritte Kategorie aus: Humoristen. Wie der Revolutionär antworte der Humorist auf die Brutalität der Welt in seinem Werk mit umso größerer Brutalität. Doch zielt sein Tun nicht darauf, sie zu verändern, sondern sie durch Lachen annehmbar zu machen. Insoweit ist Michel Houellebecq, der heute 60 Jahre alt wird, in Wahrheit einer der großen Humoristen unserer Zeit. Was seine Romane auszeichnet, ist genau dies: Radikale Provokation und beißende Komik.

Es gibt wohl derzeit in Europa keinen zweiten Schriftsteller, der derart polarisiert. Die Welt, wie sie ist, widert ihn und seine Ich-Figuren maßlos an. Weshalb sie ihr mit äußerstem Zynismus begegnen. Geld und Sex macht Houellebecq als die beiden grundlegenden sozialen Differenzierungssysteme aus, die "Phänomene absoluter Pauperisierung" erzeugen, wie Houllebecq schon in seinem Debüt "Ausweitung der Kampfzone" schrieb: Die einen haben Geld und Sex, die anderen nicht. Seine Figuren haben Ersteres meist, weshalb sie sich Letzteres erkaufen. Houellebecqs Helden sind alle glühende Egozentriker und sexuell Frustrierte. Sie suhlen sich in Obszönität, Ruhe aber finden sie ausgerechnet am ehesten noch in Einsamkeit. Vielleicht, weil sie dem Nichts am Nächsten kommt. Der Neoliberalismus, das ist das wahre Credo aller Werke Houellebecqs, ist zu unserer zweiten Natur geworden. Er zwingt uns alle in "die gnadenlose Schule des Egoismus". So sieht sich der am 26. Februar 1958 auf La Réunion geborene Ex-Informatiker wohl als aufrichtigsten Militärbeobachter auf den Schlachtfeldern des Glücks (ob Swingerclubs, Ehen, TV-Bühnen oder All-inclusive-Anlagen), den man sich wünschen kann.

Man hat ihn einen Reaktionär, Sexisten, Frauenhasser, Islamfeind, Nihilisten genannt. Und doch beschäftigt er, weil er die Gesellschaft an ihren Eingeweiden packt, die Leute. Gerade laufen sie dem Hamburger Schauspielhaus die Türen ein, das "Unterwerfung" auf die Bühne gebracht hat. In Frankreich, wo Houellebecq nach Jahren in Irland und Spanien seit 2013 wieder lebt, ist nun der erste Band einer Gesamtausgabe seiner Werke erschienen. Was nicht heißt, dass er das Schreiben lässt. Er wird weiter der Meister des Paradoxen bleiben: manischer Tabubrecher und großer Moralist zugleich.

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