Der Liebhaber der Schwermut

Saarbrücken · Er war ein großer Schmerzensmann, Frauenheld, Narziss und Mystiker: Wie kaum einem anderen Musiker gelang es Leonard Cohen, über ein halbes Jahrhundert hinweg eine Ikone zu bleiben. Im Alter von 82 Jahren ist er nun in Los Angeles gestorben.

 1934 kam er in Montreal als Sohn eines Textilfabrikanten und einer Rabbinertochter zur Welt. 33 Jahre später entstand sein erstes Album, seither war Leonard Cohen eine Instanz und blieb es. Foto: dpa

1934 kam er in Montreal als Sohn eines Textilfabrikanten und einer Rabbinertochter zur Welt. 33 Jahre später entstand sein erstes Album, seither war Leonard Cohen eine Instanz und blieb es. Foto: dpa

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Die Parallele zu David Bowie, der kurz vor seinem Tod eine Platte hinterließ, drängt sich auf: Als "You want it darker" vor zwei Wochen herauskam, war überall zu lesen, dass dieses Cohen-Album wie ein Vermächtnis klinge. So viel Versöhnlichkeit, Abgeklärtheit, beseelte Gläubigkeit verströmt die Platte. Als Leonard Cohen sie einspielte, saß er schon im Rollstuhl, bereit zu sterben. "I'm leaving the table, I'm out of the game", raunte Cohen mit seinem unverwechselbar rauen Timbre. Gestern nun ist er in Los Angeles gestorben, mit 82 Jahren.

Cohen war ein Bohemien par excellence, der es schaffte, über ein halbes Jahrhundert hinweg ein Idol der feinfühligen Depressiven dieser Welt zu bleiben. Eigentlich aber hatte er Schriftsteller werden wollen. 1934 in Montreal als Sohn eines Textilfabrikanten und einer Rabbinertochter in einen vermögenden Haushalt hineingeboren, verfasste er mit neun Jahren nach dem Tod des Vaters ein Trauergedicht, das er im Garten unter Stiefmütterchen zu Grabe trug, wie seine Biografen wissen. Ehe er sich dazu durchrang, sein Glück als musikalischer Wanderprediger der Schwermut zu suchen (und dabei Unsterblichkeit zu finden), veröffentlichte Cohen einen famosen Gedichtband ("Let us compare mythologies") und Romane ("The favourite game", "Beautiful losers").

Von Anbeginn an kultivierte er die Aura eines sensitiven Frauenhelden, dessen dunkle Abgründe große Gaben an Whisky und Opium vertrugen. In seinem frühen Evergreen "So long Marianne" - gewidmet seiner damaligen Gespielin, der Norwegerin Marianne Ihlen, mit der auf der griechischen Insel Hydra in den Sechzigern ein ausschweifendes Aussteigerleben genoss - heißt es: "I'm cold as a new razor blade" ("Ich bin so kalt wie eine neue Rasierklinge"). Die Frauen lagen dem Bonvivant und (späteren notorischen Anzugträger) zu Füßen, der 1967 beim Newport Folk Festival als Sänger debütierte. Angetrieben von Judy Collins, die Cohens legendäre Eloge auf die heilige Kopflosigkeit der Liebe "Suzanne" bekannt gemacht hatte. Und damit ihn als Elegiker vom Dienst.

"Suzanne" war genauso wie "Hallelujah" aus den Achtzigern eine verkappte Sehnsuchtshymne: Cohen feierte den Sex, die Anmut der Frauen, den Trost der Religion. Die Musik war dabei fast Nebensache: minimalistische Melodik, Akkord-Untermalung seiner Demutsdichtung. Aber doch eben gekonnte Zutat: Sein von äußerster Reduktion lebendes Früh- und Spätwerk blieb deutlich ausgereifter als Cohens mittlere Phase, in der seine Songs oft orchestral aufgeladen und mit quälendem Backgroundgesülze ruiniert wurden.

Leonard Cohen durchwanderte bei aller Berühmtheit, vor der er in den Neunzigern zeitweilig in ein Zen-Kloster flüchtete, viele Täler: Drogen ließen ihn abstürzen, verkorkste Platten setzten ihm zu, ehe ihn dann seine ehemalige Produzentin in den finanziellen Bankrott trieb. "I've seen the future: It's murder" ("Ich habe die Zukunft gesehen: sie ist mörderisch.") hatte er schon 1982 in "The future" als Krisenbekenntnis gedichtet.

Cohen aber rappelte sich auf, brachte 2001 mit "Ten new songs" ein pulsierendes Alterswerk heraus und begab sich 2008 - als geläuterter Gentleman mit Fedorahut - auf eine fünfjährige Welttournee à la Dylan. Es wurde eine triumphale Rückkehr. Auch wenn sich Cohen künstlerisch ein Stück weit immer neu erfand (vom puristischen Folk der frühen Jahre über seine 80er-Pop-Allüren bis zum späten, gurrenden Sprechgesang): Im Grunde blieb er sich treu. Auf den Haus altären seiner Gemeinde dürften vor allem die ersten Alben - "Songs of Leonard Cohen" (1967) und "Songs of a room" (1969) - zeitlebens einen Ehrenplatz behalten.

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