Interview zum Kinofilm „Paradies“ „Der Ekel kam schon bei der Recherche“

Der Schauspieler über seine Rolle als SS-Offizier im Film „Paradies“, der zurzeit in Saarbrücken läuft und in Venedig ausgezeichnet wurde.

 Christian Clauss als SS-Mann, der von einem „deutschen Paradies auf Erden“ träumt.

Christian Clauss als SS-Mann, der von einem „deutschen Paradies auf Erden“ träumt.

Foto: Sveta Malikova

Es gibt viele Spielfilme über den Terror der Nazis – selten zuvor jedoch wurde darüber im Kino derart eindringlich erzählt wie in „Paradies“. Die Russin Olga, der Franzose Jules und der Deutsche Helmuth haben eines gemeinsam: Sie leben in der Hölle des Zweiten Weltkriegs. Olga wird als Widerstandskämpferin verfolgt, Jules dient als Polizist in Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung als Handlanger der Gestapo, während Helmuth die Erfüllung seines Lebens in der SS sieht. Der in Schwarz-Weiß gedrehte Film lässt die Drei zwischen langen Spielsequenzen mehrfach direkt in die Kamera von sich erzählen. Der Film von Regisseur Andrey Konchalovsky erschrickt und verstört – etwa wenn er einen SS-Offizier von einem „deutschen Paradies auf Erden“ schwafeln lässt. Den Offizier spielt Christian Clauß (33), der nach dem Studium seine Karriere am Staatsschauspiel Dresden begann. Dann kam das überraschende Angebot des russischen Altmeisters Konchalovsky.

Herr Clauss, mit welchen Gefühlen spielt man solch eine Rolle? Ist das Tragen einer SS-Uniform reine Schauspieler-Routine oder mehr?

CLAUSS Bei der ersten Anprobe in Moskau gab es schon einen Moment, der mir unangenehm war. Da standen sechs Leute der Kostüm-Abteilung um mich herum und waren voller Freude und begeistert, wie gut diese SS-Uniform passt – da dachte ich mir schon: Menschen in solchen Uniformen waren dafür verantwortlich, dass 20 Millionen eurer Landsleute ums Leben kamen.

Mit welchen Gefühlen spricht man die Dialoge einer Figur, die euphorisch die Nazi-Ideologie feiert?

CLAUSS Der Ekel kam bei mir viel früher auf: Während der Recherche. Tatsachenberichte über die KZs zu lesen, ist schwere Kost – und ich hatte einen halben Meter Bücher zur Vorbereitung bekommen. Sehr bedrückend war auch mein Besuch des NS-Dokumentationszentrums in Nürnberg. Beim Spielen selbst hat man dann nur noch die Figur vor Augen: Das ist ein überzeugter Nazi, und entsprechend legt man die Rolle an.

Sehen Sie keine Gefahr, für solche Monologe des überzeugten Nazis von den falschen Leuten Beifall zu bekommen?

CLAUSS Wenn man krank genug ist, vielleicht. Aber das könnte bei „Schindlers Liste“ dann ja ebenfalls passieren, wenn man nur die entsprechenden Reden hört. Wer den ganzen Film anschaut, wird dieser Figur mit Sicherheit keinen Applaus geben können.

Wie sind Sie an die Rolle gekommen? Es ist Ihr erster Film – und dann gleich beim berühmten Regisseur Andrey Konchalovsky?

CLAUSS Das lief ganz unspektakulär. Ich bekam das Drehbuch und danach einen Anruf meines Agenten, dass sich der Regisseur mit mir treffen wollte. Das Casting mit Konchalovsky dauerte fünf Stunden, am Ende war ich sehr begeistert von diesem Regisseur. Allerdings war ich auch unsicher und sagte ihm: „Das ist mein erster Film. Wollen Sie wirklich die Katze im Sack kaufen?“ – und er wollte!

Immerhin hatten Sie den sehr erfahrenen Peter Kurth an Ihrer Seite, der in diesem Jahr den Deutschen Filmpreis bekam. Wie war die Zusammenarbeit?

CLAUSS Die Arbeit mit Peter Kurth war wunderbar und eine große Hilfe für mich, auch wenn er nicht durchgehend mit dabei war. Ich erinnere mich an eine Szene, die mir einfach nicht richtig gelingen wollte. Da nahm Peter mich zur Seite und meinte, es sei unnötig, dass ich mir all diese Gedanken machte. Ich würde die Dinge verkomplizieren, dabei wäre alles doch wesentlich einfacher. Und dieser Ratschlag hat großartig funktioniert.

Fast wäre die Erfahrung der Oscar-Verleihung noch hinzugekommen. Der Film hat es bis zur Shortlist geschafft und die Nominierung ganz knapp verpasst. Wie groß war die Enttäuschung?

CLAUSS In dieser Nacht der Bekanntgabe der Nominierungen war ich schon ziemlich nervös. Und die nächsten ein, zwei Tage dann auch ein bisschen enttäuscht, dass wir nicht dabei waren. Aber dann dachte ich: Das ist vielleicht auch alles ein bisschen zu groß für mich. Es gibt ja genügend Beispiele, wo Leute wahnsinnig in den Himmel gelobt werden – und danach hält ihr Gemüt das gar nicht aus.

Haben Sie durch den Film schon neue Angebote fürs Kino?

CLAUSS Bislang noch nicht – aber es gibt schon die leise Hoffnung, dass sich nach dem Kinostart vielleicht etwas tun könnte.

 Olga (Julia Vysotskaya) im Konzentrationslager.

Olga (Julia Vysotskaya) im Konzentrationslager.

Foto: Sveta Malikova

„Paradies“ läuft im Saarbrücker Filmhaus. Die Kritik finden Sie in unserer Beilage treff.region.

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