Ophüls-Branchendiskussion Sag mir, wie divers Du bist

Saarbrücken · Eine Ophüls-Branchendiskussion über Diversität und Stereotype im heutigen Film.

Es ist, ausgelöst durch die überfällig gewesene MeToo-Debatte, derzeit das große Diskussionthema der Filmbranche, um das augenblicklich wohl kein Festival-Rahmenprogramm mehr herumkommt: Diversität (soziale Vielfalt). Unter dem Titel „Dauerkolonie deutscher Film“ klopfte das Ophüls-Festival am Mittwoch im Jules Verne den Stand der Dinge ab. Unter der Leitfrage, wieviel gesellschaftliche Vielfalt (ob sexuell, kulturell oder rein äußer­lich per Hautfarbe) Film abbildet, diskutierten Schauspieler, Produzenten, TV-Redakteure und Journalisten den aktuellen Kolonialisierungsgrad der Branche.

Wie ist es darum bestellt? Nun, die Realität ist ungleich bunter – neudeutsch: diverser – als ihre Illusionierung. Wie viel Nachholbedarf insoweit im Abbilden der deutschen Bevölkerungsstruktur (19,3 Prozent haben einen Migrationshintergrund) besteht, wurde gleich zu Anfang deutlich. Oder wie ist es anders zu erklären, dass die Besetzung einer Tatort-Kommissarrolle mit einer Schwarzen (ab Februar agiert die aus Uganda stammende, in Essen aufgewachsene Florence Kasumba neben Maria Furtwängler als NDR-Ermittlerin) wie ein Durchbruch gefeiert wird? Wo der verantwortliche NDR-Redakteur Christian Granderath später doch kundtat, dass ein anderer NDR-Tatortkommissar wohl aus Migrationsgründen die „schlechteste Einschaltquote aller Tatort-Kommissare“ hatte: Mehmet Kurtulus, der von 2008 bis 2012 in Hamburg den Kommissar Cent Batu mimte. Die von ihm geleitete TV- und Spielfilm-Redaktion sei zu dem Schluss gekommen, dass die Deutschen in Kurtulus einen Fremden gesehen hätten, meinte Granderath.

Möglich, dass Kurtulus’ Quote besser gewesen wäre, wären die zu deren Ermittlung ausgesuchten 5500 bundesdeutschen Haushalte nicht rein deutsche, wo­rauf Schauspieler Tyron Ricketts hinwies. Er legte den Finger in eine zweite Wunde: Wer wie er nicht „Bio-Deutscher“ sei, werde klischeehaft besetzt. In 80 Prozent seiner 62 Filmrollen sei die von ihm gespielte Figur „der Stein des Anstoßes gewesen“. Die Journalistin Tina Adomako pflichtete ihm bei: Nicht-Deutschen würden bis heute stereotype Rollen zugewiesen. „Die Schwarze, die putzt. Oder die Albaner, die kriminell sind.“ Thomas Schäffer, Geschäftsführer der „Nordmedia“ (Filmfördergesellschaft von Niedersachsen und Bremen), wies auf ein entscheidenes Manko hin: Diversität werde nicht als Selbstverständlichkeit gezeigt, sondern notorisch als billiger Aufhänger für dramaturgische Reibungspunkte. Produzent Peter Hartwig („Kineo Filmproduktion“) warb dafür, lebenswirklichkeitsnahere Stoffe zu entwickeln. Stefanie Groß, SWR-Leiterin von „Debüt im Dritten“, meinte mit Blick auf die jährlich über 100 Einreichungen dort, das Migrationsthema sei nun ein dominierendes.

Diversität dürfe aber auch nicht Selbstzweck werden, mahnte „Nordmedia“-Mann Schäffer: „Geschichten darauf hinzuschreiben, führt uns in eine Falle.“ Während das gut besetzte Jules-Verne-Forum in diversen Wortmeldungen (Tenor: „Bunt ist besser“) reihum eine Lanze brach für „POC“ („People of colour“), erinnerte NDR-Mann Granderath aus guten Gründen daran, dass „diverse Geschichten nicht per se gute Geschichten“ sind. Andererseits: Wie spießig und klischeeverliebt die deutsche Film-Wirklichkeit noch ist, offenbarte die Erfahrung einer farbigen Schauspielerin, die auch Werbefilme dreht. Ihr Sohn sei blond, holte sie aus. Für einen TV-Spot aber musste sie als Mutter von einer „echten Deutschen“ ersetzt werden. „So werden bei uns Illusionen als Realität verkauft“, meinte sie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort