Kulturpolitik Damit Kultur keine Nebensache bleibt

Saarbrücken · Die Saar-Arbeitskammer lotete in einem ganztägigen Zukunftsforum die Bedeutung aus, die Kultur heute zukommt – Eindrücke von der Tagung.

 Auch wenn die Grenzen gefallen sind – das kulturelle Zusammenwachsen der Großregion bleibt schwierig. Hier der Altbau der Bundespolizei am Grenzübergang Goldene Bremm  (eine Aufnahme vom Juni 2012).  

Auch wenn die Grenzen gefallen sind – das kulturelle Zusammenwachsen der Großregion bleibt schwierig. Hier der Altbau der Bundespolizei am Grenzübergang Goldene Bremm  (eine Aufnahme vom Juni 2012).  

Foto: BeckerBredel

Man muss die Arbeitskammer (AK) rühmen: Ihr ganztägiges „Zukunftsforum zur Kultur und Kulturpolitik im Saarland“ vorgestern bewies, dass sie ernst macht. Sprich, sie die allzuoft als Sahnehäubchen missverstandene Kultur als geistiges Grundnahrungsmittel und essentiellen Hebel sozialer Teilhabe würdigen will. Gedacht als Vertiefung ihres im Juni bereits hiervon geleiteten Jahresberichts, in dem sie die Kultur in den Fokus rückte, zerlegte man das Themenfeld nun in vier Workshop-Portionen: 1) Industriekultur, 2) Großregion, 3) Kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen und 4) Kreatives Prekariat. Damit nicht genug, unterfütterte man die vier AGs mit zwei Vorträgen über das Kulturland Saar.

Die Außensicht übernahm der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, der ein Grundübel benannte: Kulturpolitik hierzulande sei „mehr mit der Sicherung des Bestehenden beschäftigt als mit Visionen“. Auch mache man zu wenig aus dem eigenen „Alleinstellungsmerkmal“: Nirgendwo werde Europa so offensiv gelebt wie hier. Je mehr Zimmermann dann die großen Zukunftsfelder Digitalisierung und kulturelle Integration in den Blick nahm, desto erwartbarer redete er. Mit einer Ausnahme: Als er auf das künstlerische Prekariat zu sprechen kam – das Jahreseinkommen Kreativer liegt im Schnitt bei 12 000 bis 15 000 Euro – legte er den Finger in die tiefste Wunde. „Wie soll dieses Kunstprekariat je aufgelöst werden, ohne dass die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangeht und angemessene Honorare zahlt?“ Diskutabel nannte er die im Grußwort von AK-Hauptgeschäftsführer Thomas Otto ins Spiel gebrachte Erweiterung der Künstlersozialkasse (KSK) um eine Arbeitslosenversicherung für Künstler – das klang eher defensiv.

Die Innensicht übernahm die Kunsthistorikerin Eva Mendgen, die in einer etwas holprigen tour d’horizon Kernthesen des federführend von ihr erstellten AK-Jahresberichts bilanzierte. Sie betonte das Potenzial der Großregion, die schlecht zu reden keine Veranlassung sei. Augenzwinkernd zitierte sie ein Bonmot des Elsässers Martin Graff, der schrieb, das Saarland sei „ein Planet, der ständig um sich selbst kreist“. In dessen europäischer Periode (1945-1955) habe das Französische Hochkommissariat dementgegen dezidiert auf kulturelle Entwicklung und Internationalität gesetzt, wie Mendgen mit Blick auf die Gründung von Universität, Musikhochschule und der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk ins Gedächtnis rief. Womöglich resultiere der „Phantomschmerz“, der bis heute spürbar sei, ja aus den verpassten Gelegenheiten damals. Zuletzt resümmierte Mendgen einige Positionen der 77 von ihr für den Arbeitskammerbericht befragten Kulturakteure der Großregion: fehlenden visionären Mut; ein nur vages Identitätsverständnis der europäischen Kernregion; Mehrsprachigkeit als conditio sine qua non; den unerlässlichen Abbau verwaltungstechnischer Hürden.

Der bestbesuchte Workshop war der zur Großregion. Er bot drei anregende Impulsreferate. Der Luxemburger Raymond Weber, Ex-Mitglied der Unesco und des Europarates, warnte vor einer Re-Nationalisierung der Kulturpolitik, deren Zeichen in Europa allenthalben sichtbar würden. Nachdrücklich warb er dafür, Kultur als „Mittel einer Weltinnenpolitik“ zu nutzen. Dabei dürfe sie weder als Lieferant für Mainstream-Positionen dienen noch sich nur an Eliten orientieren. Weber schlug vor, analog des AK-Berichts für die Kultur im Saarland eine Bestandaufnahme für die Großregion auf den Weg zu bringen. Er visionierte ein transationales „Observatoire“ herbei, das vorhandene Initiativen dokumentiere und befördere. Das politische Instrument dazu gibt es längst – in Gestalt des politischen Gremiums „Kulturraum Grenzregion“. Es hatte sich die Vernetzung der Kultur-Akteure und -Institutionen nach dem Europäischen Kulturhauptstadtjahr „Luxemburg und die Großregion“ von 2007 auf die Fahnen geschrieben. Nur: Fahnen sind genauso geduldig wie Papier.

 Uschi Macher, Leiterin des Referates Internationales im hiesigen Kulturministerium, konzedierte denn auch eine gewisse großregionale „Skepsis und Müdigkeit“. Hinzu kommt, dass in der Politik fast allen das Hemd näher ist als die Hose: „Alle Politiker werden nun mal nicht in der Großregion gewählt.“ Vieles sei auf den Weg gebracht worden, befand Macher, die seit 30 Jahren europäische Fäden spinnt und sieben Kulturminister überdauert hat. Doch der Schub von 2007, der sei „ein bisschen eingeschlafen“. Um die Großregion zu befeuern, brauche es „Themen, die uns verbinden, und Geld“. An Fördertöpfen ist kein Mangel, doch sie abzuschöpfen ist bis heute eine Geheimwissenschaft, die wohl nur in ministeriellen Fachabteilungen zu erlernen ist. Wäre das nicht zu lösen, indem das Land für potenzielle Antragsteller Fachberatungsstellen einrichtete?

Dass Kultur, sofern sie nicht nur auf Quote und Zerstreuung zielt, der „Herzensbildung“ diene und sie in der überbordenden Wissensgesellschaft Selbstbesinnungszonen schaffe – daran erinnerte Peter Lupp, Kulturreferent des Regionalverbands Saarbrücken. Das anschließende Plenum aber verlor sich lieber in Namens- und Marketingfragen und stocherte in nebulösen Leitbildern herum.

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