Blick auf den 2. Ophüls-Spielfilm-Wettbewerbstag Angstphantasien und Todesphantasien

Saarbrücken  · Morgen starten beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis vier weitere Spielfilme in den Wettbewerb. Welche lohnen sich, welche weniger?

 Simon Frühwirth in dem herausragenden Wettbewerbsbeitrag „Nevrland“.

Simon Frühwirth in dem herausragenden Wettbewerbsbeitrag „Nevrland“.

Foto: Salzgeber

Eine komplizierte Beziehungsgeschichte, ein apokalyptisches Drama mit Zombies und Dämonen, eine Tragikomödie um Alter und Tod und ein faszinierend-düsterer Coming-of-Age-Trip – darum geht es in den vier Beiträgen, die heute im Wettbewerb um den Max Ophüls Preis an den Start gehen.

 „Adrian ist nicht Achill“ ist das Regiedebüt von Sophia Schiller, die sich, das wird schon bald deutlich, viel vorgenommen hat. In einer überlangen Einführung geht es um Uhren, um Zeit und Raum, um Augustinus und Kant, um Sternkreiszeichen und Beziehungen. Zehn Minuten lang, dann erst wird der Titel eingeblendet. In der Folge lernen wir bei einer ausgiebigen Geburtstagsfeier die Familie von Adrian (Moritz Weber-Jänichen), dem Uhrmacher aus Rottweil, kennen. Dann kommt endlich Florina (Agnes Decker) ins Spiel, Adrians Ex-Freundin, die als Schauspielerin durch die Lande zieht und mal wieder kurz vorbeischaut. Schöne Erinnerungen werden wach – aber auch hässliche. Die beiden steigen ins Bett, um im nächsten Moment zu streiten. Floriane erzählt von ihrem Projekt über Penthesilea, die Königin der Amazonen, um Achill, und um Kleists gleichnamiges Drama aus dem Jahre 1808, grob verkürzt: um eine starke Frau und um die Starre der Gesetze. Oder im konkreten Fall von Adrian und Floriane: um eine Beziehung, die an den Gegebenheiten des Alltags scheitert.  Das ist stilistisch eher brav inszeniert, die Beziehung ist weder außergewöhnlich noch besonders spannend, weil sich hier nicht viel entwickelt und manche Szenen seltsam improvisiert und redundant wirken. (Mi: 21.45 Uhr, CS1; Do: 15 Uhr, CS5; Fr: 10.15 CS3; Fr: 17.30 Uhr Kinowerkstatt IGB; Sa: 19.30 Uhr, CS5; So: 15.30 Uhr, CS 2).

„Endzeit“ ist nach dem mehrfach ausgezeichneten „Wanja“ der zweite Film von Carolina Hellsgård, die in Stockholm geboren wurde. Mit „Endzeit“, nach der gleichnamigen Graphic Novel, entwirft sie mit deren Autorin Olivia Vieweg ein bildstarkes und spannendes, mitunter inhaltlich und von den Dialogen her etwas naives und krudes postapokalyptisches Drama. Im Mittelpunkt stehen zwei völlig unterschiedliche junge Frauen, die im Kampf gegen Zombies und die inneren Dämonen gezwungen sind, zusammenzuhalten. Die schwer traumatisierte, zu Beginn völlig hilflose Vivi (Gro Swantje Kohlhof) und die toughe Eva (Maja Lehrer), eine Art Lara-Croft-Verschnitt, raufen sich dabei immer mehr zusammen. Auf dem Weg in die Rettung versprechende Stadt treffen sie auf skurrile Gestalten wie die „Gärtnerin“, von Trine Dyrholm ausdrucksstark verkörpert. Ein weiterer Hauptdarsteller ist die Natur, der hier in vielen prächtigen Bildern gehuldigt wird. „Endzeit“ ist ein zuweilen blutiger Film mit einigen harten Actionszenen, aber auch ein poetisches, gegen Ende auch etwas pathetisches Werk, das nachdenklich machen will, wie wir Menschen mit der Natur und dem Planeten Erde umgehen. Ein Extra-Lob hat die Abteilung Maskenbildnerei verdient. (Morgen: 19.15 Uhr, CS 1; Do 10 Uhr, CS 5;  Do: 17.15 Uhr, CS 8; Fr: 22.30 Uhr, FH; So: 12:45 Uhr, CS 4).

Anatol Schusters „Stern“ ist einer der stärksten Filme des Wettbewerbs. Er erinnert nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen der Machart und des trockenen Humors an Aki Kaurismäkis „I hired a contract killer“. Stoisch, mit düsterem Blick sitzt sie da, schaut fest in die Kamera. Dann der erste Satz des Films: „Ich will sterben.“ Schnitt. Ihr gegenüber sitzt der Arzt: „Aber Frau Stern, sie sind ja körperlich gesund, sie sind vital, das ist in ihrem Alter ein Geschenk.“ Doch Frau Stern bleibt hart. Trotz guter Gesundheit, trotz intakter Familie, die 90-jährige Holocaust-Überlebende hat genug: „Ich will mein Ende selbst bestimmen.“. Also macht sie sich in ihrer Heimat Berlin-Neukölln auf die Suche nach einer Waffe oder legt sich auf die Bahngleise, nicht ohne vorher einen Zettel geschrieben zu haben: „Liebste Schätzchen, seid nicht traurig. Geld liegt unterm Bett.“ Später versucht sie es betrunken in der Badewanne – alles vergebens. Immer wieder kommt etwas dazwischen, ereignen sich zufällige Begegnungen oder aberwitzige Dinge. „Stern“ ist eine Liebeserklärung an eine beeindruckende Frau: Ahuva Sommerfeld spielt die zu allem entschlossene Dame mit den leuchtend weißen Haaren, die eine Zigarette nach der anderen qualmt und immer wieder knochentrocken Sprüche parat hat: „Ich habe das KZ überlebt, ich werde auch das Rauchen überleben.“ Vor allem ihre Enkelin Elli versucht alles, die 90-Jährige aufzumuntern, vermittelt Ahuva  sogar einen Auftritt in ihrer Lieblings-TV-Sendung. Als der Moderator fragt, ob es etwas gebe, was sie sich noch wünsche, antwortet die Alte kurz und knapp: „Schneller Abgang.“ Köstlich. So erfrischend kann ein Film über das Thema Alter und Tod sein – und das als No-Budget-Projekt. Das Herzblut aller Beteiligten spürt man, Kompliment! (Mi: 20 Uhr, CS3; Do: 14 Uhr, CS1; Fr: 12.15 Uhr, CS5; Fr: 18.30 Uhr, CaZwo2; Sa: 15.30 Uhr, Kinowerkstatt IGB; So: 10.45 Uhr, CS4).

„Nevrland“ von Gregor Schmidinger  ist ein faszinierender Film wie aus einem Guss, wie man ihn, wenn man Glück hat, vielleicht alle zehn oder 20 Jahre mal sieht. „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.“ Dieses Zitat von Friedrich Nietzsche steht am Anfang – was folgt, ist ein packender, hypnotisierender Trip in die Welt eines jungen Mannes, der in den folgenden knapp 90 Minuten buchstäblich durch die Hölle geht. Regisseur und Autor Schmidinger, 1985 in Linz geboren, gelingt mit seinem Spielfilmdebüt ein ganz großer Wurf. Hier stimmt alles: „Nevrland“ macht von Beginn an neugierig, zieht den Zuschauer geschickt, mit knappen, präzisen Bildern, in die Geschichte des 17-jährigen Jakob (großartig: Simon Frühwirth), der mit seinem wortkargen Vater (Josef Hader) und seinem pflegebedürftigen Großvater zusammen in einer düsteren Wohnung lebt. Jakob wird von Angststörungen heimgesucht und flüchtet sich deshalb gerne in virtuelle oder fiktive Welten. In einem Sex-Chat lernt er den 26-jährigen Kristian (Paul Forman) kennen, mit dem er sich bald auch im realen Leben trifft. Kristian öffnet Jakob die Tür zu einer Reise in die Tiefen der eigenen Phantasien und Ängste. Schmidinger und sein Team inszenieren das Ganze sehr flüssig, mit bestechenden, wuchtigen Bildern und pulsierender elektronischer Musik – auch stilistisch ist das ein absoluter Höhepunkt im Wettbewerb. (Mi: 19 Uhr, CS4; Do: 14.45 Uhr, CS8; Fr: 19 Uhr, CS1; Sa: 22 Uhr, CS5; So: 15 Uhr, Thalia Bous; So: 17.15 Uhr, CS3).

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