Perspectives-Festival Bei den Bühnen-Urbewohnern

Saarbrücken. · Verspielt und verkopft zugleich: „Germinal“ im Saarbrücker E-Werk machte dem Perspectives-Publikum Vergnügen.

 Szene aus der französischen Fassung von „Germinal“, einem unkonventionellen Stück, das bei den Saarbrücker Perspectives gastierte.

Szene aus der französischen Fassung von „Germinal“, einem unkonventionellen Stück, das bei den Saarbrücker Perspectives gastierte.

Wenn diese Produktion von Halory Goerger und Antoine Defoort eines nicht ist, dann das, was das Programmheft verspricht und weshalb Festivalchefs „Germinal“ offensichtlich so gerne einkaufen: ein Geniestreich. Dafür reicht die ästhetische Kraft und darstellerische Finesse bei weitem nicht. Trotzdem besitzt der Abend Meriten, sein größter Vorzug liegt in einer hemdsärmeligen Unkonventionalität, gepaart mit spitzbübischem Humor.

Das Publikum im Saarbrücker E-Werk reagierte am Mittwoch jedenfalls mit Heiterkeit auf das Gastspiel, das nur mäßig mitreißende Energien entwickelte. Aber trotzdem wirkte es très charmant. Warum? Das Unvollendete, das Ausprobieren und Improvisieren, ist hier Teil des Bühnengeschäfts, schließlich schauen wir einem Experiment zu. Vier Menschen (Jean-Baptiste Delamnoy, Ondine Cloez, Denis Robert, Sébastien Vial) erfinden das Theater-Rad ganz neu, indem sie den Prozess des Erfindens vorführen. Bei der Entwicklung vom „homo ludens“ zum „homo faber“, vom spielenden zum (er)schaffenden Menschen landen sie irgendwo zwischen Kinderspielplatz und Wissenschafts-Labor. Marschieren von den ersten phonetischen Lauten über Musikbeigaben bis zu aufwendigen Videoprojektionen, kommen vom Gedanken über die Erkenntnis zur Erschütterung, entwickeln ihr Tun vom gleichberechtigten Agieren bis hin zu einer (Regie-)Hierarchie. Zugleich mühen sie sich ab, alles Erlebte einzuordnen und zu systematisieren: „Pok Pok“ lautet eine Kategorie, die der Dingwelt. So albern das klingt, so ironisch und zugleich naiv wird es uns serviert. 

 Am Anfang war hier aber fraglos die Computertechnik, denn die vier auf leerer Spielfläche Gestrandeten in Alltagsklamotten kommen mit Laptop in das dunkle, geschlossene Bühnen-Universum. Über stumme Bildschirm-Botschaften laufen die ersten Verständigungsversuche der Bühnenerstbewohner, es folgen Welterkundungs-Abenteuer mit Mikros und Mischpult. Wände werden abgeklopft, der Boden wird mit einer Spitzhacke aufgerissen, eine E-Gitarre als Schatz geborgen. Schließlich zapft man die Außenwelt an, lässt sich von einer weiblichen Stimme über die Gesetze der Thermodynamik und der Finanzwelt aufklären, und aus der zum Sumpf erklärten Spielfläche sprießen mit lautem Knall Plastik-Sträucher. Niemand verbietet uns, während all der kuriosen Unvorhersehbarkeiten nach einem tieferen Sinn zu suchen und bei Friedrich Schiller zu landen. In dessen Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ von 1793 ist das (Bühnen-)Spiel eine urmenschliche Leistung, denn es steht für Handlungsfreiheit. „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, so Schiller. Das bringt uns womöglich auch nicht weiter ran an ein Stück, das sich mit dem Namen „Germinal“ von Emile Zolas Bergarbeiter-Roman (1885) schmückt, ohne auch nur das Geringste damit zu tun zu haben. Hier ist „Germinal“ verkopftes „Theater über das Theater“, zugleich selbstvergessen wie ein kindliches Spiel. 

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort