Zukunft der Menschheit Ausverkauf unter der Fuchtel der Algorithmen

Saarbrücken · In seinem Buch „Homo deus“ malt der israelische Universalhistoriker Yuval Harari ein düsteres Zukunftsbild der Menschheit.

 Yuval Noah Harari.

Yuval Noah Harari.

Foto: Beck Verlag

Vor sechs Jahren veröffentlichte der junge israelische Historiker Yuval Noah Harari (41) seine „Kurze Geschichte der Menschheit“, die zum Verkaufsschlager wurde. Nun knöpft er sich in „Homo Deus“ unsere Zukunft vor. Weshalb man sich die ersten 380 Seiten seines unterm Strich lesenswerten Abgesangs auf die Menschheit weitgehend sparen kann: Wärmen knapp Zweidrittel des Werks doch im Wesentlichen die Thesen seines unseren langen Weg bis zum Humanismus nachzeichnenden launigen Debüts nochmal auf. Was Harari dann aber im eindrücklichen dritten Teil von „Homo Deus“ liefert, entschädigt für diese Redundanzen.

Dort macht Harari schnell klar, dass die Tage des Individualismus gezählt sind. Von wegen freier Wille: Biochemische Prozesse entscheiden über unser Befinden und lenken letztlich auch unser Denken, führt Harari nicht ohne eine gewisse Häme aus und führt eine Reihe von Studien der modernen Biowissenschaft ins Feld, die diese steile, vernichtende These untermauern. „Menschen sind keine Individuen. Sie sind ,Dividuen’“, schreibt Harari. Das authentische Ich bestehe in Wahrheit aus einer Kakophonie widerstreitender Stimmen. Seine eigentliche Kernthese aber ist, dass der wissenschaftliche Fortschritt die menschliche Spezies im Zeichen des Dataismus wohl bald selbst zum Auslaufmodell macht.

Was lange als Science Fiction galt, werde womöglich in wenigen Jahrzehnten Realität: In dem Moment, da die Automatisierung Cyborgs generieren werde, die uns geistig überlegen sind, könne das System der Algorithmen einen eigenen, nicht mehr bezähmbaren Herrschaftsraum bilden. Am Beispiel des Computerprogramms „Watson“, das 2011 in der US-Quizsendung „Jeopardy“ zwei Champions haushoch schlug, macht Harari das in Teilbereichen bereits erreichte Leistungsgefälle zwischen Maschine und Mensch deutlich: „Wer einen solchen Watson hat, braucht keine Sherlocks mehr.“ Auch wenn Hararis Zuspitzungen auf dieser rasanten tour d’horizon künftiger Technikfolgenabschätzung nicht immer überzeugen: Man machte es sich zu leicht, sie als blanke populärwissenschaftliche Polemik abzutun. Viele Menschen werden im Zeichen der Automatisierung als Arbeitskräfte tatsächlich überflüssig werden. Ebenso spricht manches dafür, dass Facebook-Algorithmen unsere Meinungen und Wünsche bald besser einzuschätzen wissen als unsere Partner. Schon bald auch „werden Bücher Sie lesen, während Sie diese Bücher lesen“, skizziert er zuhauf Negativ-Potenziale heutiger Datensicherung. So wie dann auch Nanoroboter, bionische Organe und biometrische Geräte im Dienst des medizinischen Fortschritts in unsere Körper implantiert werden könnten. Langfristig drohe so eine Aufspaltung der Menschheit in biologische Kasten. In einem nächsten Schritt könnten dann „die nutzlos gewordenen Waggons der dritten Klasse“ von den Profiteuren dieser technischen Optimierung abgekoppelt werden. Zumal die nur noch verwaltenden „Regierungsschildkröte(n) mit dem technologischen Hasen nicht mithalten“ werde(n).

Harari betont, dass es nicht so kommen muss. Und mahnt zur Selbstvergewisserung. „Über Jahrmillionen waren Gefühle die besten Algorithmen auf der Welt.“ Und heute? Werde Informationsfreiheit nicht uns gewährt, sondern der Information. Dabei ein mulmiges Gefühl zu haben, wäre schon mal ein Anfang auf dem Weg zur Umkehr.

Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. C.H. Beck,  577 Seiten, 24,95 €.

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