DVD-Tipp Rassenhass und Frust: Die Stadt Detroit kocht über

Saarbrücken · Kathryn Bigelows herausragender, im Kino ignorierter Film „Detroit“ über Rassenunruhen der 1960er Jahre erscheint auf DVD.

 Das marode Detroit der 1960er Jahre im Film.

Das marode Detroit der 1960er Jahre im Film.

Foto: Concorde

Dass ein zweieinhalbstündiger Kinofilm über weiße Polizeigewalt und Rassenunruhen in den 1960ern weniger populär ist  als ein Superheldenfilm – das kann man sich denken. Und doch überrascht der komplette kommerzielle Misserfolg von „Detroit“, dem jüngsten Film von Kathryn Bigelow, die 2010 einen Regie- und einen Produzenten-Oscar für „Tödliches Kommando“ gewann, ihren Film über Bombenentschärfung, vor allem aber über die Abstumpfung im Krieg.

Der weitgehend ignorierte „Detroit“ erscheint nun fürs Heimkino; dass er da noch ein Publikum findet, wäre ihm dringend zu wünschen. Mit einer kurzen Animations-Sequenz erklärt der Film den realen Hintergrund der wirtschaftlich angeschlagenen Stadt Detroit, wo es in den schwarzen Vierteln durch Armut und weiße Polizeigewalt gefährlich brodelt. Eine Razzia in einem schwarzen Club ohne Ausschank-Lizenz löst 1967 einen Aufstand aus, der Staat schickt die Nationalgarde, Panzer rasseln durch die Stadt, die Gewalt nimmt überhand. Das schildert Bigelow mit einer nervösen, fahrig wirkenden Kamera  und viel Zeitkolorit, ohne dass die alten Autos und zeitgenössische Kleidung „Detroit“ zu einem historisch wirkenden Ausstattungsfilm machen.

Auch lässt sich das Drehbuch Zeit, bleibende Figuren zu etablieren, es entwirft zuerst ein breites Panorama, schafft viel Atmosphäre und bedient nicht die klassischen Muster der Dramaturgie: Der Film folgt etwa dem Schicksal eines  von weißen Polizisten angeschossenen schwarzen Plünderers, lässt um dessen Überleben bangen – und ihn dann sterben, erst dann schält sich die Haupthandlung heraus, die zum großen Teil auf realen Ereignissen basiert: Während Nationalgarde und Polizei auf den Straßen patroullieren, schießt eine Gruppe (schwarz und weiß) aus einem Motel mit einer Schreckschusspistole aus dem Fenster heraus – als Jux oder auch als Provokation. Polizisten glauben an einen Heckenschützen, stürmen das Motel, erschießen sofort einen der Schwarzen – und legen ein mitgebrachtes Messer neben ihn, um Notwehr vorzutäuschen. Den Rest der Gruppe, darunter ein schwarzer Wachmann, der zu vermitteln versucht, treiben die Polizisten zusammen, während sie im Motel nach der Waffe suchen.

Eine enorme Intensität erreicht der Film in diesem langen, kammerspielartigen Mittelteil – man meint den Herzschlag der Personen, hören, ihren (Angst-)Schweiß riechen zu können. Da ist Bigelow mit der Kamera (Barry Ackroyd) ganz nah an ihren exzellenten Darstellern, darunter John Boyega aus „Star Wars – Das Erwachen der Macht“. Er spielt den Wachmann, das moralische Zentrum des Films, zugleich ein Machtloser. Ein weiterer Mensch wird erschossen, bis sich die Situation auflöst und erst nach einiger Zeit ein juristisches Nachspiel hat: Drei Polizisten wird der Prozess gemacht, aber eine weiße Jury spricht sie frei, nachdem der Anwalt der Polizisten alles getan hat, die schwarzen Zeugen unglaubwürdig zu machen. So, wie Bigelow zuvor die Gefahr des historischen Ausstattungskinos vermeidet, geht sie nun dem klassischen Gerichtssaal-Film und dessen aufgedonnerter „Einspruch, Euer Ehren“-­Dramatik aus dem Weg. Hier geht es um Strukturen und Machtmechanismen, was den Film, naheliegenderweise, ebenso zu einer Betrachtung der 1960er wie der Gegenwart macht.

Auf Blu-ray und DVD bei Concorde erschienen. Die Extras sind durchwachsen: einige zweiminütige „Featurette“-Schnipsel und eine kurze Begegnung mit einem der realen Vorbilder der Figuren.

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