Ausstellung thematisiert Goethes „Faust“ Mit Faust, Mephisto und Grete vor den Spiegel

München · Verführbarkeit, Jugendwahn, Egoismus und unstillbarer Hunger nach mehr – das sind nicht nur Probleme der Gegenwart. Schon Goethe griff sie im „Faust“ auf. Eine Münchner Ausstellung zeigt, wie die Kunst damit umging.

 Gustaf Gründgens als Mephisto in der Hamburger Faust-Inszenierung von 1959.

Gustaf Gründgens als Mephisto in der Hamburger Faust-Inszenierung von 1959.

Foto: dpa/Gerd Herold

Den roten Samtvorhang ein wenig zur Seite geschoben. Schon steht der Besucher mitten im dunklen, nur von Sternen erleuchteten Himmel. Lovis Corinth, Svend Gade und Johannes Schröder liefern die Engel-Bilder dazu, während auf der Leinwand Gustaf Gründgens als „Mephisto“ von seinem Herrn empfangen wird. Um den „Doktor“, um Gottes „Knecht“, geht es. Den will der eine in die Hölle bringen und der andere retten. „Du bist Faust“ heißt die aktuelle Ausstellung in der Münchner Kunsthalle, die bis 29. Juli im Rahmen des „Faust-Festivals“ einlädt, das weltberühmte Drama von Johann Wolfgang Goethe noch einmal neu zu entdecken.

Bildungsbürger und jene, die sich mit Schrecken an die Deutschstunden mit dem gelben Reclam-Heft  erinnern, können sich hier auf eine Entdeckungsreise begeben. Philipp Fürhofer hat die Kulissen für den Parcours durch dieses bekannteste Werk der deutschen Literatur geschaffen. Keine langweilige Bücherschau, sondern hier wird hineingegriffen ins volle Menschen- und Kulturleben. Getreu dem Goethe-Wort „Und wo ihr‘s packt, da ist es interessant“, gelingt es den Machern, immer wieder mit neuen Ideen zu überraschen.

Dieser Mephisto ist ja auch ein spannender Typ. Eduard von Grützner stellte ihn 1872 als hinterlistiges, in Rot gewandetes Spitzohr da, Robert Mapplethorpe porträtierte sich 1985 selbst mit Hörnern, Mark Antokolski setzte den Teufel 1883 auf einen Felsen. Der Teufel also schafft es ins düstere Studierzimmer des Gelehrten Faust. Werke von Künstlern wie Carus, Kersting und Paik sollen dessen vergebliche Suche nach höchster Erkenntnis verdeutlichen. Grenzen akzeptiert dieser Wissenschaftler nicht. Das weiß Mephisto für sich zu nutzen.

Durch das in der Wand angedeutete gotische Fenster ist in der Ferne schon das lüsterne Treiben der Walpurgisnacht zu sehen. Doch zunächst lässt sich der Herr Doktor erst einmal verjüngen. Nur so glaubt er, die Bürgerstochter Margarete für sich zu gewinnen.

Hell ist dieser Raum von Gretchen mit einem überdimensionalen durchsichtigen Kreuz. Tugendsam stellt etwa der Maler Louis Ammy Blanc „Die Kirchgängerin“ (1837) dar. Vor der Ruine eines Gotteshauses steht da ein Mädchen mit seiner blonden Zopffrisur, gehüllt in ein edles Gewand mit Rüschenkragen. Postkartenserien greifen zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Gretchenmotiv auf.

„Mit Sturm ist da nichts einzunehmen“, weiß Mephisto. Am Ende ist es ein Kästchen mit Geschmeide, mit dem das Ding sich verführen lässt. Wie sich das Mädel vor dem Spiegel schmückt, hat Manuel Dominguez Sanchez auf Leinwand festgehalten. Für eine Fotosession von Karl Lagerfeld durfte Top-Model Claudia Schiffer sich in Schmollmundpose die Ketten umhängen. Anselm Kiefer hat sich vom goldenen Haar der Margarete 1981 ebenfalls inspirieren lassen.

Ein paar Schritte weiter steht der Besucher auf einmal auf der Opernbühne, im Garten vor Margaretes Häuschen. Charles Gounods „Faust“ erklingt aus Lautsprechern. Die Illusion des eigenen Auftritts wird perfekt durch den Blick auf die Ränge der Pariser Nationaloper, wo das Werk uraufgeführt wurde. Ach die Liebe, möchte man schwelgen. Doch das zuvor für Margaretes Frömmigkeit stehende Kreuz wird ihr zur Bürde. Schwanger, die Ehre der Familie befleckt und von ihrem Galan verlassen, findet sie sich im Kerker wieder. Eine düstere Welt, der sich Käthe Kollwitz und Theodore Gericault in ihren Arbeiten angenommen haben. Zur Kindsmörderin wird die junge Frau. Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret hat dies in seinem 1910 geschaffenen Bild festgehalten: Das tote Kind im rechten Arm, steht hier eine blonde Frau mit zerrissenem Kleid, eine Brust entblößt, im Hintergrund lodern die Flammen. Sie ergibt sich dem Gericht Gottes und wird gerettet.

Alle drei Hauptfiguren halten den Menschen einen Spiegel vor, sind die Veranstalter überzeugt. Denn Verführbarkeit, Jugendwahn, Egoismus und ein unstillbarer Hunger nach mehr bestimmt auch das heutige Leben. Am Ende der Schau steht erneut ein Spiegel. Wer durch den Vorhang nach draußen tritt, weiß womöglich nicht mehr, wo die Grenzen zwischen Spiel und Realität sind.

Die Schau läuft bis 29. Juli in der Münchner Kunsthalle im Rahmen des „FaustFestivals“. Täglich 10 bis 20 Uhr.

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