Neue Ausstellung „In the cut“ in der Saarbrücker Stadtgalerie „Diese Bilder sind massiv zensiert worden“

Saarbrücken · Provokant, erotisch, humorvoll: Die Saarbrücker Stadtgalerie zeigt den männlichen Körper aus der Perspektive feministischer Künstlerinnen.

 Paula Winkler kontaktierte Männer über eine Sex-Plattform und bat sie, sich für ihre Akt-Fotografien als Modelle zur Verfügung zu stellen.

Paula Winkler kontaktierte Männer über eine Sex-Plattform und bat sie, sich für ihre Akt-Fotografien als Modelle zur Verfügung zu stellen.

Foto: Paula Winkler

Heute eröffnet in der Saarbrücker Stadtgalerie die Ausstellung „In the cut“. Sie dreht sich um den männlichen Körper in der internationalen Feministischen Kunst und bricht mit Tabus: Frauen werfen einen künstlerischen, begehrlichen Blick auf den (nackten) Mann, zeigen Sexualität aus weiblicher Perspektive und stellen althergebrachte Rollenzuschreibungen und Machtverhältnisse im traditionellen Bilderkanon in Frage. Gezeigt werden Arbeiten ab den 1950er Jahren – darunter viele Akte – , die den Mann als Objekt (weiblichen) Begehrens darstellen. Die Kuratorin und Leiterin der Stadtgalerie Andrea Jahn erklärt, warum diese Bilder so lange zensiert wurden.

Frau Jahn, wie ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden?

JAHN Sie ist schon sehr alt. Ich habe über Louise Bourgeois, die auch gezeigt wird, promoviert und habe mich im Zuge dessen schon viel mit Geschlechterentwürfen, Gender-Diskussionen, Männer- und Frauenbildern beschäftigt. Die Tatsache, dass Herlinde Koelbl, die wir jetzt wieder zeigen, vor 30 Jahren bereits eine Ausstellung ihrer „Männerbilder“ hier in Saarbrücken hatte, hat mich dazu bewogen, das Thema wieder aufzugreifen. Das war schon vor zwei Jahren, also lange vor der „Me too“-Debatte. Herlinde Koelbl hat mich darauf gestoßen, dass sich in diesen 30 Jahren sehr viel verändert hat. Wir leben heute eigentlich in prüden Zeiten verglichen mit den 80er Jahren.

Wie haben Sie die Künstlerinnen ausgewählt?

JAHN Wir zeigen Arbeiten von drei Generationen. Die ältesten der beteiligten Künstlerinnen sind mittlerweile bereits über 80. Ich wollte alle finden, die etwas zu diesem Thema gemacht haben, und das sind leider nicht viele. In Deutschland waren es eigentlich nur zwei, Herlinde Koelbl als Fotografin und Anke Doberauer als Malerin. Dass wir noch Paula Winkler, mit 33 Jahren die jüngste der Künstlerinnen, mit aufnehmen konnten, war reiner Zufall. Im Laufe der Recherche hat sich herausgestellt, dass es quasi keine jungen Künstlerinnen gibt, die sich mit dem Thema Mann beschäftigen.


Wie kommt das?

JAHN Das hat viel damit zu tun, wie wir von Männer- und Frauenbildern geprägt werden. Männlichkeit und Weiblichkeit werden permanent durch die öffentliche Wahnehmung konstruiert. Die feministische Kunstgeschichtsforschung hat gezeigt, wie diese Konstruktion abläuft: Indem wir durch Kunst und Werbung ganz stark mit Bildern konfrontiert sind, an denen wir uns ausrichten. Frauen inszenieren sich ständig, um Frau zu sein. Bei Männern verhält es sich anders. Seit den 2000er Jahren hat man den Eindruck, dass junge Künstlerinnen gar nicht mehr den Mut haben, sich mit dem Mann als Thema zu beschäftigen. Sie beschäftigen sich – gerade im Internet – vor allem mit sich selbst. Das ist hochspannend, aber auch frustrierend. Es fehlt der Mut der älteren Künstlerinnengeneration, die schon in den 1960er Jahren ihrer eigenen Sexualiät Ausdruck gegeben hat, indem sie selbstbewusst konstatierte: „Wir lieben Männer“. Diese Künstlerinnen sagen: Genauso wie Frauen in der Kunstgeschichte vor allem zum Objekt der Begierde gemacht wurden, bestehen wir darauf, endlich auch Männer zum Objekt unserer Bilder zu machen.

Wie hat sich das gezeigt?

JAHN Die feministischen Künstlerinnen haben seit den 1960er Jahren versucht, radikal zu brechen mit dem traditionellen Frauenbild, mit dieser permanenten Idealisierung. Da war auch die Performance ein sehr wichtiges künstlerisches Mittel, um zu sagen, der Körper ist in Bewegung und lässt sich nicht einhüllen in einen idealisierenden Akt. Da gibt es die schwangeren Körper, die menstruierenden Körper, die sexuell agierenden Körper.

Sie haben geschrieben, eine selbstbestimmte Sexualität sei heute keineswegs (mehr) selbstverständlich, weil sie in den sozialen Medien zensiert würde. Wie meinen Sie das?

JAHN Die Formen von Narzissmus und Exhibitionismus im Netz führen dazu, dass Körper immer stärker reglementiert werden. Ein Beispiel: Die besessene Befreiung von Körperbehaarung, wie sie sich in der „Waxing Szene“ äußert. Das ist auch eine Generationenfrage, die Frauen und Männer gleichermaßen betrifft. Sie setzen sich einer Kontrolle aus, die über die sozialen Medien ausgespielt wird. Diese Art der Kontrolle, durch wahre Stürme der Empörung  über im Netz verbreitete Bilder, ist viel schlimmer als alles, was wir aus der Werbung oder der Kunstgeschichte kennen.

Vordergründig geht es um Sex und Erotik, aber eben vielmehr noch um die Frage klassischer Rollenverteilungen, um Emanzipation und die sexuelle Identität von Frauen...

JAHN Die Schau konzentriert sich auf Männer-Bilder, die nicht aussehen wie klassische Akte. Der männliche Akt spielte 2000 Jahre lang die Hauptrolle in der Kunstgeschichte, aber immer als Ideal, der Phallus als Machtsymbol. Erst vor 250 Jahren, als der nackte menschliche, in der Regel weibliche Körper immer stärker sexualisiert wurde, ändert sich das in unserem Kulturkreis. Doch der lebendige erotische männliche Körper existiert in der Kunstgeschichte nicht. Während der weibliche nackte Körper immer Sex bedeutet. Erst im 19. Jahrhundert kommt der Mann als homoerotisches Motiv hier und da ins Spiel, auch durch die Fotografie. Entscheidend ist aber: Der männliche Körper wird immer aus männlicher Perspektive gezeigt. Die ersten Bilder von Frauen über den Mann als erotisches Objekt gibt es eben erst seit Ende der 1950er Jahren. Carolee Schneemanns großformatiges Bild „I.T. and three kitches“ von 1957, das ihren Mann sehr abstrakt darstellt, ist meines Wissens das erste und es hängt in unserer Ausstellung.

Das sagt viel...

JAHN Ja. Diese Bilder sind lange  massiv zensiert worden.

Sie zeigen den westlichen, emanzipierten Blick sexuell selbstbestimmter Frauen auf Männer. Ist das auch ein Statement gegen das so ganz andere Selbstverständnis vieler Frauen aus anderen Kulturkreisen, aus dem muslimisch-arabischen Raum beispielsweise mit seinem Idealbild der tugendhaft-keuschen Frau?

JAHN Ich hätte sehr gerne Künstlerinnen aus anderen Kulturkreisen in die Schau mit einbezogen. Es gibt aber einfach keine. Nicht in Afrika, nicht in Asien, nicht mal in Südamerika, was mich überrascht hat. Die Gesellschaft dort ist noch so sehr vom Machismo geprägt, dass sich das auch in der Kunst fortsetzt. Die Geschlechter-Bilder in der Kunstgeschichte und in der Werbung schlagen zurück auf die Realität. Sie haben Konsequenzen für Männer und Frauen und für unsere Wahrnehmung. Wenn Frauen diese Selbstbestimmtheit wie in unseren auf Gleichberechtigung basierenden westlichen Demokratien nicht ausüben dürfen, dann haben sie auch kein Anrecht auf eine eigene Sexualität. Das ist bedrohlich.

       Andrea Jahn, Leiterin der Stadtgalerie.

Andrea Jahn, Leiterin der Stadtgalerie.

Foto: Oliver Dietze

Das Gespräch führte
Esther Brenner.

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