Literatur-Preis Bücher als Bausteine unserer Welt

Saarbrücken · Alberto Manguel, Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, erhält am Samstag den Gutenberg-Preis.

  Alberto   Manguel

 Alberto Manguel

Foto: Alejandro Garcia/EFE/dpa/Alejandro Garcia

Dieser Tag hat für Alberto Manguel so begonnen wie fast alle Tage: mit ein paar Seiten aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Das ist für den 70-jährigen Argentinier mehr als ein liebgewonnenes Ritual. Manguel tritt mit dieser Lektüre aus den Träumen in die Welt hinaus – mit Dantes Werk und diesem unerhörten Versuch, ein Universum aus Worten zu schaffen. Für ihn sind Bücher Bausteine unserer Welt, in ihrer ganzen Rätselhaftigkeit und bezaubernden Schönheit. Alberto Manguel liest nicht, weil er existiert, sondern er existiert, weil er liest.

Richtig verständlich wird das erst, wenn man das Rad der Zeit kräftig zurückdreht. Dann nämlich sitzt man nicht mehr dem sorgsam ge­kleideten Herrn gegenüber, sondern sieht den Schüler Alberto vor sich, wie er in der argentinischen Nationalbibliothek den Direktor besucht – den legendären Jorge Luis Borges (1899-1986), wie er ihn schließlich nach Hause begleitet und ihm dann die Weltliteratur vorliest. Buch für Buch und Jahr für Jahr. Borges war 1955 zum Direktor der riesigen Bibliothek in Buenos Aires ernannt worden und erblindet. Gott habe ihm in seiner Ironie „alle Bücher und die Nacht geschenkt“, beschrieb er sein Schicksal eher amüsiert denn verbittert. Borges war schon deren vierter blinder Direktor. Als schwebe ein Fluch über diesem Amt, das seit knapp drei Jahren nun Alberto Manguel bekleidet, der 1948 in Buenos Aires geboren wurde, aber auch in Israel aufwuchs und seit 1988 kanadischer Staatsbürger ist.

Manguel hortet Bücher – massenhaft. „Eine Bibliothek ist ein Platz ohne Grenzen“, sagt er mit aller Selbstverständlichkeit dieser Welt. „Sie muss grenzenlos sein, weil es niemals das finale Buch und den finalen Leser geben wird.“ Was das heißt, ist seit 2015 in Buenos Aires zu erleben. Fünf Millionen Bücher zählte der Bestand der Bibliothek, und jedes Jahr kamen 10 000 neue Bücher dazu. Bis Manguel im ersten Direktoren-Jahr zunächst 100 000 Werke anschaffte, 200 000 im Jahr darauf. 2018 wird auch diese Zahl massiv übertroffen. Dass Bibliotheken aus allen Nähten platzen, hält er für normal. In Buenos Aires schien man darauf nicht unbedingt vorbereitet zu sein. Viele Bücher mussten bereits in Hallen des Flughafens deponiert werden.

Bücher sind für Alberto Manguel immer mehr als nur Bücher, mehr als Geschichten. Seine Beziehung zur Literatur sei physischer Natur: „Das Buch, das ich lese, möchte ich besitzen, auch deshalb, um etwas hineinschreiben zu können. Außerdem markiert jedes Buch eine Zeit und einen Ort meines Lebens –  nämlich wann und wo ich das Buch gelesen habe. Das ist wichtig für mich.“

Am Samstag erhält Manguel, bekannt geworden mit seiner „Geschichte des Lesens“ und als Übersetzer, den renommierten Gutenberg-Preis in Mainz. Er habe wie kein zweiter die Beziehung von gedrucktem Buch, der Leserschaft und dem Lesen zum zentralen Punkt seines Wirkens gemacht, begründete dies die Jury.

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