Künstlerische Freiheit, reale Sklaverei: Silke Scheuermann sorgt mit Leichtigkeit für Gewicht

Saarbrücken. Welche Zutaten sind für einen Roman wirklich unerlässlich? Liebe und Tod, sagt das klassische Rezeptbuch. Dazu sollten (je nachdem) Landschaft und Stadt, Tiefsinn und Glamour, Berufsleben, Exotik und Drogen, Smalltalk gemischt werden. Silke Scheuermann beherzigt das in ihrem bemerkenswerten Roman "Shanghai Performance"

Saarbrücken. Welche Zutaten sind für einen Roman wirklich unerlässlich? Liebe und Tod, sagt das klassische Rezeptbuch. Dazu sollten (je nachdem) Landschaft und Stadt, Tiefsinn und Glamour, Berufsleben, Exotik und Drogen, Smalltalk gemischt werden. Silke Scheuermann beherzigt das in ihrem bemerkenswerten Roman "Shanghai Performance". Um alles gut lesbar, auch wichtig und richtig zu machen, baut sie langsam Spannung auf, wirbelt vor dem dramaturgischen Höhepunkt schon ein paar Mal, den folgenden tiefen Fall andeutend, mit der Trommel, brennt ein Feuerwerk an elegant formulierten Überlegungen zur Gegenwartskunst ab und lässt das Publikum mit den Hauptfiguren in der Sommerschwüle von Shanghai schier zerfließen.Es geht um Luisa, die Assistentin der "trockenen" Performance-Künstlerin Margot Wincraft, und um eine ebenso genial entworfene wie akribisch geplante Aufführung in Shanghai. Zwischen den beiden Frauen sowie einem Teil des kunstvoll um sie arrangierten, teils chinesischen Personals herrschen und zerbrechen Bindungen, werden künstlerische Freiheiten ausgelebt und moderne Formen, nur mit Mitteln der Psychologie erklärbarer Sklaverei angedeutet. Der Leser wird an der Vorbereitung und Durchführung eines eher stillen Happenings mit 23 nackten Models und Laiendarstellerinnen in Shanghai beteiligt.

Er entdeckt aus der Perspektive von Scheuermanns Ich-Erzählerin Luisa geheimnisvolle Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Beteiligten, erlebt das soziale Milieu, in dem diese Kunstform ihre begeisterten Anhänger findet und Geld keine Rolle spielt, und begleitet die Autorin auf ihrer Recherchereise nach Shanghai. Am Ende liegt ein Mensch zerschmettert auf der Straße, sind die anspruchsvoll geschmiedeten Ketten der Leibeigenschaft zerbrochen, geht die Hauptdarstellerin in ihrer zentralen Beziehung wieder auf die Ausgangsstellung zurück.

Silke Scheuermann erzählt ihren thematisch interessanten, handlungsstarken Roman in einer Sprache, die oft nur tupft, was andere dicker auftragen würden. Ein "Je nachdem" am Ende einer kleinen Überlegung, öffnet und relativiert, schafft Rhythmus und Nähe. Manchmal sind ihre Worte wie hingeworfen und aus ihnen können wunderschöne Stimmungen erwachsen. Nach ihrem Roman "Die Stunde zwischen Hund und Wolf", ihren Erzählungen und Gedichten hat Silke Scheuermann jetzt wieder ein Buch vorgelegt, das sein Gewicht mit schöner Leichtigkeit trägt.

Silke Scheuermann: Shanghai Performance. Schöffling, 312 Seiten, 19,95 €

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