Künstler im Kokon

Saarbrücken. Es gibt Momente im Film, da geht er einfach weg - wenn er in einem Nebensatz dann doch etwas mehr von sich preisgegeben hat als er wohl wollte. Wenn er sich auf seinem Sofa filmen lässt, betont er, dass er jetzt einfach so da liegt und keinesfalls symbolisch auf der offenbarungsfreudigen Couch eines Psychiaters

Saarbrücken. Es gibt Momente im Film, da geht er einfach weg - wenn er in einem Nebensatz dann doch etwas mehr von sich preisgegeben hat als er wohl wollte. Wenn er sich auf seinem Sofa filmen lässt, betont er, dass er jetzt einfach so da liegt und keinesfalls symbolisch auf der offenbarungsfreudigen Couch eines Psychiaters. Anton Corbijn ist kein leicht zugängliches Thema für einen Dokumentarfilm, aber ein interessantes. Ohne den niederländischen Fotografen und Regisseur ("Control") sähen viele Plattenhüllen anders aus, auch die Karrieren so mancher Bands. Corbijns grobkörnige Videoclips gaben Depeche Mode ein neues, unpoppigeres Image; seine kontrastreichen, meist schwarzweißen Bilder lassen U2 und Metallica optisch so intensiv wirken wie sie manchmal klingen. Corbijns Fotografien von Clint Eastwood, Isabella Rosselini, Miles Davis und auch Herbert Grönemeyer sind überraschende Werke, weniger PR-Transportmittel denn Kunststücke (auch wenn Corbijns Stil mittlerweile so wiedererkennbar ist, dass er mal zum Klischee gerinnen könnte).Für den äußeren Glanz der Karriere Corbijns interessiert sich die Dokumentarregisseurin Klaartje Quirijns nur wenig. Die Holländerin, die zuvor einen Waffenhändler und einen Anwalt für Menschenrechte porträtierte, verzichtet auf chronologisches Nachzeichnen und auf allzu große Statements der prominenten Kundschaft - auch wenn etwa der Kontrast zwischen dem stillen Fotografen und der großspurigen Rocker-Klischeerhetorik etwa von Lou Reed (Zitat: "This is a fucking beautiful picture") seinen Reiz hat. Quirijns geht es um das, was Corbijn antreibt, immer unterwegs zu sein und bis zur Erschöpfung zu arbeiten, die ihn am Ende des Films auch zum Umdenken zwingt. Sie zeigt den Künstler bei Ausstellungseröffnungen, bei den Dreharbeiten seines zweiten Films "The american" mit George Clooney, oft in Hotels beim Ein- und Auspacken, im Taxi, Zug, Flugzeug, bei Aufnahmen mit U2, beim Billard mit Martin Gore von Depeche Mode - und immer wieder im Kreis seiner Familie: bei der Schwester, die sich Sorgen um die Gesundheit Corbijns macht, beim Bruder, der das Arbeitspensum als "lächerlich hoch" bezeichnet.

Die Familie ist für Quirijns der Schlüssel zu Corbijn und seinem Werk, auch wenn der Hintergrund des zurückhaltenden Vaters, eines Geistlichen, der dem jungen Anton wenig Liebe vermittelte, stellenweise etwas küchenpsychologisch anmutet. "Er war immer in seinem Kokon", sagt die Schwester über ihn, der sich den Musikern so nahe fühlt. Denn die interessieren sich, sagt Corbijn, so ausschließlich für Musik, wie er sich ausschließlich für die Fotografie interessiert - Geistesverwandte in Sachen Tunnelblick. Doch wenn der Film Corbijn mit seinen Kunden zeigt, sieht man keinen, der voller Dankbarkeit in eine Szene eintaucht, sondern einen Mann der freundlichen Distanz, auch bei den Familientreffen, wo er etwas neben sich stehend wirkt. Tiefe Beziehungen fehlten ihm, sagt Corbijn. Woran das liegt? "An mir."

Dass Quirijns den zurückhaltenden Corbijn in solchen Situationen, darunter auch im Pflegeheim bei seiner Mutter, überhaupt zeigen kann (sie hat ihn über Jahre immer wieder gefilmt), mag daran liegen, dass sie sich seit längerem kennen und befreundet sind. Ihm rückt die Regisseurin des öfteren nah auf die Pelle, was manchmal intime, manchmal etwas unangenehme Momente zeitigt - bis Corbijn dann ein Thema abbricht und mit seinem schlaksigen James-Stewart-Gang aus dem Bild wandert. Das Ende des Films zeigt ihn durch eine verschneite Landschaft stapfen, vermummt, alleine, ganz für sich - und wohl zufrieden.

"Inside out" startet morgen im Filmhaus (Sb).

Auf einen Blick

Die anderen neuen Filme der Woche: Die Kinowerkstatt St. Ingbert zeigt am Wochenende die viel gelobte Dokumentation "Marley" über die Reggae-Legende Bob Marley.

In der Camera Zwo (Sb) laufen der sensible Jugendfilm "17 Mädchen" und die Tragikomödie "West is West" über die Unterschiede zwischen der östlichen und westlichen Welt.

Das Saarbrücker Filmhaus zeigt die Dokumentation "Die Wohnung" über die Freundschaft eines jüdischen Ehepaares zu einem SS-Offizier. Überraschend unkomisch, trotz der Besetzung, ist die Komödie "Ein Jahr vogelfrei": Steve Martin, Owen Wilson und Jack Black als Ornithologen auf der Pirsch hat keinen rechten Pfiff, ebenso wie die Klamotte "Die Trauzeugen" (beide im Cinestar, Sb). red

Kritiken und Termine morgen im treff.region.

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