Krasser Realismus: Warlam Schalamows Erzählungen aus einem Gefangenenlager Stalins
Saarbrücken. Geschichte redlich aufzuarbeiten ist ein schwieriges Geschäft. Jede Verniedlichung der Nazi-Diktatur wäre eine Verhöhnung der Millionen Opfer von Unrecht und zynischer Staatsgewalt. Auch in der damaligen Sowjetunion waren die Menschenrechte außer Kraft gesetzt. Diktator Stalin unterdrückte grausam und unerbittlich jede oppositionelle Regung
Saarbrücken. Geschichte redlich aufzuarbeiten ist ein schwieriges Geschäft. Jede Verniedlichung der Nazi-Diktatur wäre eine Verhöhnung der Millionen Opfer von Unrecht und zynischer Staatsgewalt. Auch in der damaligen Sowjetunion waren die Menschenrechte außer Kraft gesetzt. Diktator Stalin unterdrückte grausam und unerbittlich jede oppositionelle Regung. Die heutige russische Geschichtsforschung beginnt langsam, den Stalin-Kosmos kritisch zu durchforsten. Weiter als die Wissenschaft ist die Kunst: Der russische Schriftsteller Warlam Schalamow (1907-1982) etwa, Sohn eines orthodoxen Geistlichen, geriet als politischer Dissident schon früh in die Mühlen des stalinistischen Terrors und wurde zu langen Jahren Lagerhaft verurteilt. Einen Großteil seiner Strafe (17 Jahre) verbüßte er im ominösen Strafgefangenenlager Kolyma in Ostsibirien, das als besonders menschenunwürdig verschrien war.Was er in dieser Hölle erlebte, komprimierte er in seinen "Erzählungen aus Kolyma", deren Manuskript er 1971 in die Bundesrepublik schmuggelte und in Auszügen veröffentlichen ließ. Gegenwärtig erscheint der Monumentalzyklus ungekürzt bei Matthes & Seitz. Der zuletzt verlegte dritte Band "Künstler der Schaufel" bereichert die hart-realistischen sibirischen Momentaufnahmen um weitere grelle Blitzlichter. Denn "Erzählungen" sind es nicht eigentlich. Eher Kurzgeschichten, die knapp und prägnant das Wesentliche beleuchten. Handlung und psychologische Entwicklungsstränge werden gekappt - das punktuelle Strukturprinzip überwiegt. Um so eindringlicher wirken die Schilderungen aus einem stalinistischen Arbeitslager, das nach westeuropäischen Maßstäben als unbewohnbar galt. Im Winter herrschten 60 Grad unter Null, der Tod durch Arbeit wurde von der Lagerleitung billigend in Kauf genommen. Häftlinge aus allen Schichten waren brutal zusammenstopft; Missgunst und Neid herrschten; der Kampf ums nackte Überleben begünstigte Gewalt aller Art. Streitigkeiten unter Häftlingen (oft um Essensreste oder winzige Geldbeträge) endeten häufig mit Mord. Die Lagerleiter, nicht selten mit den Rädelsführern unter einer Decke, vertuschten die Taten: Wichtig war nur die Einhaltung der Arbeitspläne.
Schalamows krasser Realismus, gepaart mit teils geradezu kurzatmig-kompakter Sprache, ist der gelungene Versuch, politische Verbrechen zu benennen und zu ächten. Die unvorstellbare Grausamkeit zwingt Schalamow in seiner Darstellung regelrecht zu registratorischer Nüchternheit. Seine Sprache heizt sich rhythmisch auf und wirkt stakkatohaft elektrisierend.
Warlam Schalamow: Künstler der Schaufel. Matthes & Seitz, 603 Seiten, 29,90 €