Kraft und Anmut, Gewalt und viel Geld

Dieser Sommer hatte es sportlich wieder in sich: Fußball-Europameisterschaften, Olympische Spiele - da bleibt kein Fernsehgerät lange ausgeschaltet. Sport ist - gemessen an der Resonanz, des Globalisierungsgrades und seiner wirtschaftlichen Bedeutung - der wichtigste Unterhaltungs- und Freizeitsektor für Milliarden von Menschen

Dieser Sommer hatte es sportlich wieder in sich: Fußball-Europameisterschaften, Olympische Spiele - da bleibt kein Fernsehgerät lange ausgeschaltet. Sport ist - gemessen an der Resonanz, des Globalisierungsgrades und seiner wirtschaftlichen Bedeutung - der wichtigste Unterhaltungs- und Freizeitsektor für Milliarden von Menschen. Seine gesellschaftliche Bedeutung kann nicht überschätzt, sein Einfluss auf alle Lebensbereiche nicht geleugnet werden. Da wirft der an der Universität des Saarlandes lehrende Historiker Wolfgang Behringer einen Blick zurück auf die letzten 3000 Jahre der Menschheit und schreibt eine Kulturgeschichte des Sports, die mit dem irrigen Glauben aufräumt, diese "Kurzweil" hätte sich erst in den letzten Jahrzehnten so in den Vordergrund geschoben.Natürlich wissen wir von den antiken Olympischen Spielen und wissen auch noch, dass die "Olympiaden" das Vier-Jahres-Maß der antiken Zeitrechnung waren. Aber dass dieses olympische Zeitmaß über 1000 Jahre in griechisch-römischer Zeit den geschichtlichen Takt geschlagen hat, dass unserem "nach Christi Geburt" damals in olympischer Zeitrechnung die Nummer der Olympiade die geschichtliche Chronologie ermöglichte, wird einem erst bei der Lektüre dieser erzählten Enzyklopädie der Sportgeschichte bewusst.

Behringer breitet fast alle Themen des Sports auf erstaunlich kenntnisreiche Weise vor dem Publikum aus, das die eigenen weißen Flecken auf der historischen Weltkarte des Sports mit diesem Buch farbig ausmalen kann. Es geht um teils exotische, teils seit langem betriebene Sportarten, um die Sportler selbst, um die verschiedensten Arenen, Stadien, Hallen und andere Sportstätten. Behringer behandelt die Reibungen, die zwischen Sport, Gesellschaft, Religion und Politik entstanden, die Haltung von Pädagogen und Militärs, das Publikum, die Verletzungsgefahren, Betrug und die Jahrtausende alte Leidenschaft, auf den Ausgang von sportlichen Wettkämpfen Geld zu setzen.

Der kulturgeschichtliche Aspekt steht im Vordergrund dieses Buches. Orignalzitate aus Quellen veranschaulichen den jeweiligen Zeitgeist. Der Bildungsbürger kommt auf seine Kosten, wenn die Sentenz des Juvenal "mens sana in corpore sano" als scharf formulierte Satire auf die olympischen Religionsübungen dekonstruiert wird.

Die zuletzt so gebeutelten Bayern-Fans kommen mit einem Kapitel über das Dream-Team um Beckenbauer, Müller, Breitner und Hoeness ebenso zu ihrem Leser-Recht wie die Anhänger der Brüder Klitschko oder die Leichtathleten mit magischen Zeiten über 100 Meter. Abbildungen wie das Titelblatt des ersten Traktates über die "Kunst des Schwimmens" ("De arte natandi") des Ingolstädter Professors Nikolaus Wynmann aus dem Jahre 1538 lockern den Text angenehm auf.

Jeder Statistiker wird es genießen, das "Ranking" der größten Stadien der Welt oder die "ewigen" Medaillenspiegel der olympischen Sommer- und Winterspiele in Tabellen anzusehen. Über die Jahrtausende pendelten die Sport-Inhalte zwischen Kraft und Anmut, Gewalt und Geschicklichkeit, manchmal ging es um Fairness, schon immer um lokale oder nationale Begeisterung und um viel Geld. Es gibt über die lange betrachtete Zeitstrecke kaum ein gesellschaftliches Phänomen mit so vielen Facetten, so starken prägenden Einflüssen auf die Menschen, mit so unterschiedlichen Urteilen. Wer mit Churchill "no sports" sagt, übersieht, dass der britische Premier bis ins hohe Alter begeisterter und vor allem oft praktizierender Polo- und Golf-Spieler war. Vor allem: "No sports" gab es in den letzten 3000 Jahren in keinem Land der Erde. Das ist nach Behringers "Kulturgeschichte des Sports" ganz klar. hal

Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Sports, C.H. Beck, 494 S. mit vielen Abbildungen und Tabellen, 24,95 Euro.

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