Leitartikel Berlin darf Reisewarnung für die Türkei nicht scheuen

Noch ist das deutsch-türkische Verhältnis nicht wieder so extrem angespannt wie im Krisenjahr 2017, als der damalige Außenminister Sigmar Gabriel von deutscher Seite eine neue Eskalationsstufe zündete: Seinerzeit verkündete der SPD-Mann unter anderem deutlich verschärfte Sicherheitshinweise für Reisen in die Region.

Kommentar: Berlin darf Reisewarnung für die Türkei nicht scheuen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Sie waren die Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer deutscher Staatsbürger in der Türkei. Soweit ist es noch nicht. Aber es braut sich erneut etwas zusammen in den Beziehungen beider Länder.

Dass mehreren deutschen Journalisten zuletzt neue, für die Berichterstattung aus der Türkei wichtige Akkreditierungen versagt wurden, ist das eine. So ist das System Erdogan. Mit Pluralismus, Meinungsvielfalt und Pressefreiheit hat es der Autokrat nicht. Selbst bis ins Ausland werden unliebsame Kritiker vom türkischen Geheimdienst verfolgt. Der Fall des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel, der ein Jahr lang aus politischen Gründen in Haft saß, ist noch in guter Erinnerung. Gegen die Einschränkung der Arbeit von Journalisten muss immer wieder scharf protestiert werden. Das ist das Mindeste. Und das tut die Bundesregierung richtigerweise auch immer wieder aufs Neue.

Allerdings steht nun auch die Drohung des türkischen Innenministers im Raum, deutsche Urlauber bei der Einreise festnehmen zu lassen, wenn sie an regierungskritischen Demonstrationen nicht nur der verbotenen PKK teilgenommen haben. Ein starkes Stück. Dass man tatsächlich so handeln werde, ist zwar aus Ankara dementiert worden, freilich eher halbherzig. Offenbar geht die Sorge um, dass der neue Boom bei den Reisen in die Türkei schnell wieder vorbei sein könnte und sich die deutschen Touristen lieber andere Ziele suchen. Doch man kann Ankaras Versicherungen nicht trauen.

Denn geraten Erdogan und seine Leute innenpolitisch unter Druck, suchen sie sich einen Sparringspartner. Und der ist für sie nach wie vor am liebsten Deutschland. Ende März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt, und der Partei des Präsidenten drohen erhebliche Verluste. Darüber hinaus leidet das Land unter einer massiven Wirtschaftskrise inklusive einer erheblichen Teuerungsrate beispielsweise bei Lebensmitteln. Die Unzufriedenheit unter den Menschen ist groß. Da sollen starke Worte einerseits ablenken. Andererseits zeigt die Vergangenheit, dass Ankara es nicht immer dabei belässt. Die türkische Regierung macht auch ernst, wie der Fall Steudtner belegt. Dem Menschenrechtler wurde 2017 die „Unterstützung einer terroristischen Organisation“ vorgeworfen, das allerdings ohne substanzielle und nachvollziehbare Beweislage. Vier Monate saß Steudtner in türkischer Untersuchungshaft.

Also ist Vorsicht geboten. Die Bundesregierung wäre gut beraten, jetzt zügig präventiv zu handeln und auf den diplomatischen Kanälen Ankara sehr deutlich vor Willkür zu warnen. Und wenn das allein nicht hilft, muss schleunigst die nächste Reisewarnung ausgesprochen werden.

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