Königlicher Dünnpfiff und ein aufgeschreckter Hofstaat

Berlin. Die Welt, sie scheint in göttlichster Ordnung: In Versailles schart Marie Antoinette einen devoten Hofstaat um sich, im Klein-Venedig des Schlossparks trällert ein Gondoliere namens Paolo (der eigentlich Henri heißt, was den Damen ob seines guten Aussehens aber egal ist)

 Diane Kruger (li.) und Lea Seydoux gestern in Berlin. Foto: dpa

Diane Kruger (li.) und Lea Seydoux gestern in Berlin. Foto: dpa

Berlin. Die Welt, sie scheint in göttlichster Ordnung: In Versailles schart Marie Antoinette einen devoten Hofstaat um sich, im Klein-Venedig des Schlossparks trällert ein Gondoliere namens Paolo (der eigentlich Henri heißt, was den Damen ob seines guten Aussehens aber egal ist). Getuschel bringt Unruhe in diese abgeschottete Sommeridylle des Juli 1789: Gerüchte um die Bastille-Erstürmung gehen um, lassen den Adel ans Kofferpacken denken.Im Berlinale-Eröffnungsfilm "Adieu à la Reine" erzählt der Franzose Benoit Jacquot ("Sade") die Französische Revolution konsequent aus der Perspektive des Hofstaats; statt Massenszenen um ein Fallbeil herum zeigt er ein Kammerspiel bröckelnder Macht, schrumpfender Zuversicht und wachsender Panik. Anfangs hat das seine ironischen Momente, wenn die Entourage der Königin hierarchisch exakt geordnet um sie herum stöckelt, wenn königlicher Dünnpfiff zum Thema dramatischer Konversationen avanciert oder wenn die Königin die Revolution kaum mehr fürchtet als das Zweitschlimmste von Allem: akute Langeweile im erhofften Metzer Exil. Als die Bedrohung aus Paris nicht mehr wegzuplaudern ist, zeigt Jacquot das mit der zentralen und besten Szene des Films: Ohne Schnitt lässt er eine nervös bewegte Kamera minutenlang ihre Runden drehen beim aufgeschreckten Hofstaat, dessen halbdunkle Ausleuchtung mit Kerzenlicht an Kubricks "Barry Lyndon" erinnert.

Doch danach zieht sich diese Revolutionsgeschichte etwas, wenn Marie Antoinette ihre lesbische Liebe zu einer Untergebenen entdeckt und einen perfiden, aus monarchischer Sicht aber zynisch-schlüssigen Plan hegt, wie sie diese retten kann. Da verliert der Film viel von seiner anfänglichen Kraft, die er neben den Darstellern vor allem der Musik Bruno Coulais' verdankt: nahezu perkussiv eingesetzte Streicher, die den Film der Kostüme und Schauplätze zum Trotz filmisch in der Moderne ansiedelt. Den guten Darstellern sieht man gerne zu, auch der ansonsten oft blassen Diane Kruger als Marie Antoinette. Bei der Pressekonferenz berichtete Jacquot, dass dies sein erstes digitales Werk sei. Und damit der erste nicht mehr auf Zelluloid, wozu er auch nicht mehr zurückkehren werde: "Ich fahre lieber Auto, als dass ich reite." tok

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