„Koalition stellt unsere Existenz in Frage“

Die seit monatelangen Arbeitsniederlegungen im Jahr 2007 als sehr streitbar geltende Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) kann mit dem Koalitionsvertrag nicht leben. Deren Vorsitzender Claus Weselsky, 53, CDU-Mitglied, kündigt gegenüber unserem Berliner Korrespondenten Werner Kolhoff einen heißen Bahn-Winter an. Die zum Beamtenbund gehörende GDL hat 34 000 Mitglieder.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Koalitionsvertrag?

Weselsky: Insgesamt bin ich nicht unzufrieden, aber die Absicht der Koalition, ein Gesetz zur Tarifeinheit zu beschließen, stellt die Existenz unserer Gewerkschaft in Frage. Das ist ein Angriff auf die Koalitionsfreiheit. Die GDL ist 146 Jahre alt. Das nehmen wir und die anderen Berufsgewerkschaften nicht hin.

Schwarz-Rot will durchsetzen, dass in einem Betrieb immer der Tarifvertrag gilt, den die größte Gewerkschaft ausgehandelt hat. Was ist daran so schlimm?

Weselsky: Die Definition, was ein Betrieb ist, liegt in der Hand der Arbeitgeber. Er kann ihn aufspalten oder groß halten, wie er will. Immer in der Absicht, möglichst schwache Gewerkschaften zu haben. Das ist ein lobbyistischer Ansatz, dem die Koalition hier folgt. Ich wundere mich über die SPD.

Hintergrund ist, dass die Spartengewerkschaften ihre Schlüsselfunktion nutzen, um sich ein größeres Stück vom Kuchen zu holen, als andere Arbeitnehmer im gleichen Betrieb bekommen. Außer Ihnen auch die Piloten oder Ärzte im Marburger Bund.

Weselsky: Wer bestimmt, wie groß der Kuchen ist? Doch wohl die Ertragslage eines Unternehmens. Wir haben bei den Lokomotivführern einen Organisationsgrad von 80 Prozent. Da können wir viel erreichen. Davon profitieren aber auch alle anderen Mitarbeiter der Bahn. Die Großgewerkschaften organisieren nur noch 18 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland. Das finden Arbeitgeber klasse. Und wollen die verbliebenen starken Spartengewerkschaften auch klein machen.

Haben Sie es mit den massiven Streiks 2007/2008 übertrieben?

Weselsky: Das ist eine Mär. Es gibt nicht mehr Streiks der Lokomotivführer als früher. 2007/2008 haben wir uns als Gewerkschaft emanzipiert. 2010 haben wir in einer zweiten großen Auseinandersetzung endlich das Lohndumping bei den Lokomotivführern beseitigt. Und zwar mit einem Flächentarifvertrag. Das ist das, was denen ein Dorn im Auge ist.

Der Eindruck ist, dass sich Spartengewerkschaften und große Gewerkschaften mit ihren Tarifforderungen aufschaukeln, um sich gegenseitig Mitglieder abzuwerben. Warum machen Sie kein Friedensabkommen mit der Bahngewerkschaft EVG?

Weselsky: Friedensabkommen setzen die gegenseitige Anerkennung voraus. Die DGB-Gewerkschaften stellen aber unsere Existenz grundsätzlich in Frage. So lange kann es keine friedliche Koexistenz geben.

Die EVG hat den Demografievertrag mit der Bahn unterschrieben, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Sie nicht. Warum nicht?

Weselsky: W eil der Vertrag das alte System der Beschäftigungssicherung aus der Sanierungsphase der Bahn fortsetzen will. Es gibt zwar keine betriebsbedingten Kündigungen, aber man kann vom Arbeitgeber praktisch beliebig in anderen Regionen eingesetzt werden. Wir haben jedoch fast überall Personalmangel. Im Regionalverkehr werden Strecken ausgeschrieben, private Anbieter kommen zum Zuge, und die Bahn macht mit den Lokführern dann immer ihre Landverschickung. Es ist nicht einzusehen, dass die Kollegen nicht die gleichen Loks in ihrer Region weiterfahren können, bloß weil die jetzt nicht mehr rot sondern gelb gestrichen sind. Wir fordern auch, dass die Bahn für jeden Lokführer eine Lizenzverlustversicherung abschließt. Wer durch einen Selbstmord auf den Gleisen traumatisiert ist und nicht mehr fahren kann, muss geschützt sein .

Die Verhandlungen mit der Bahn sind gescheitert. Wie geht es jetzt weiter?

Weselsky: Es wird sicher noch eine Runde geben, ich rechne aber nicht mit einem Angebot der Arbeitgeberseite. Am 15. Januar läuft die Frist ab. Danach werden wir nicht nur trommeln für unsere Forderungen, sondern auch pfeifen. Wir sind bereit für einen Arbeitskampf.

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Zur PersonClaus Weselsky (64), geboren in Dresden, ist seit dem 6. Mai 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Er ist Nachfolger von Manfred Schell, der mit einem monatelangen Arbeitskampf 2007/2008 den Bahnvorstand in Bedrängnis brachte und der GDL zu einer hohen Bekanntheit verhalf. Weselsky war damals schon Gewerkschafts-Vize. Er hat ab 1975 bei der Deutschen Reichsbahn den Beruf des Schienenfahrzeugschlossers erlernt. 1977 folgte die Ausbildung zum Lokführer für Diesel- und E-Loks. Ab 1990 war er als Personalratsmitglied, Koordinator und Betriebsratsmitglied tätig. 1990 trat er in die GDL ein. red

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