Kinder beleben Tradition

Früher, als wir noch mit längeren Haaren und Bärten von Rockfestival zu Rockfestival zogen, haben wir uns amüsiert über ältere Herrschaften, die im gesetzten Alter jenseits der 40 daheim auf dem Sofa saßen, vorm Plattenspieler, und milde bei James Last und Max Greger mitwippten

Früher, als wir noch mit längeren Haaren und Bärten von Rockfestival zu Rockfestival zogen, haben wir uns amüsiert über ältere Herrschaften, die im gesetzten Alter jenseits der 40 daheim auf dem Sofa saßen, vorm Plattenspieler, und milde bei James Last und Max Greger mitwippten. Gott, was waren die in unseren Augen konservativ, während unsereins vor umnebelten Bühnen, beschallt von zehntausenden Watt, die Luftgitarre bei den Rolling Stones oder Deep Purple schwang. Heute sind wir selber alt und stellen überrascht fest, dass es mit dem Konservativismus, zumal in Kulturangelegenheiten, so eine Sache ist. Sind wir am Ende selber stockkonservativ, weil wir uns immer noch an Riffs von Keith Richards und der Gänsehaut erzeugenden Stimme von Mick Jagger erfreuen? Oder weil wir um größere Rockfestivals inzwischen einen Bogen machen, nicht nur weil die Haartracht mit den Jahren auf der Strecke geblieben ist, sondern auch weil wir Matsch und Morast scheuen?Doch die selbstkritische Analyse eines Abgleitens in beharrlich-behagliche, sprich reaktionäre Kulturzonen kann durch den Nachwuchs mit einem Schlag beiseite gewischt werden. So hat sich jetzt mein siebenjähriger Sohn eine uralte Stones-CD mit BBC-Studio-Aufnahmen aus den Jahren 1964/65 aus dem Regal gegriffen. "Hey Mona" schallt es mir abends entgegen, wenn ich die Wohnungstür öffne. Ein Vibrieren des Parketts zeigt mir, dass der Knabe tanzt. Die Rolling Stones kommen beim Nachwuchs von heute also genauso an wie bei der Jugend in den wilden 60ern. Das kann nur eines bedeuten: Wir befinden uns bereits bei den Klassikern, die zu allen Zeiten und an allen Orten ihren bleibenden Wert haben. Traditionen setzen sich fort - ohne, dass irgendjemand Sorge haben muss, als stockkonservativ zu gelten. Dies gilt allerdings nur, wenn die alten Kämpen gleichzeitig wissen, wer sich hinter dem Pokerface von Lady Gaga verbirgt. Sonst ist der gute, coole Ruf des ewig jungen Klassikers rasch wieder verflogen . . .

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