Keine klaren Favoriten

Venedig. Vielleicht täuscht ja einfach die Wahrnehmung. Oder aber man reagiert nach zehn Tagen Filmfestival in Venedig einfach sensibler auf andere Zuschauer. Jedenfalls scheinen die guten Kino-Manieren beim Endspurt in Venedig bisweilen auf der Strecke geblieben zu sein. Während des Films wurde da am Handy herumgefummelt, SMS geschrieben oder telefoniert

Venedig. Vielleicht täuscht ja einfach die Wahrnehmung. Oder aber man reagiert nach zehn Tagen Filmfestival in Venedig einfach sensibler auf andere Zuschauer. Jedenfalls scheinen die guten Kino-Manieren beim Endspurt in Venedig bisweilen auf der Strecke geblieben zu sein. Während des Films wurde da am Handy herumgefummelt, SMS geschrieben oder telefoniert. Sich wie im eigenen Wohnzimmer über mehrere Sitze ausgebreitet. Die Körper- und Zahnhygiene vernachlässigt. Die Schuhe ausgezogen und über die Lehne des Vordersitzes gehängt. Laut das Leinwandgeschehen kommentiert oder in ähnlicher Lautstärke dem Film entgegengeschnarcht, sofern es das Geräusch hochklappender Kinosessel beim konstanten Kommen und Gehen überhaupt zuließ. Die Ungeduld kann aber auch daher rühren, dass viele der Wettbewerbsfilme der vergangenen Tage alles andere als fesselnd waren. Denn wie manch anderem Jahrgang ging auch der 67. Mostra nach einer spannenden ersten Hälfte in der zweiten ein wenig die Puste aus. Die Film-im-Film-Verschachtelung "Road to Nowhere" von Regie-Veteran Monte Hellman führte tatsächlich ins Nichts. Die Roman-Adaption "Die Einsamkeit der Primzahlen" trat bei der Einsamkeitsbewältigung ihrer Hauptfiguren nervtötend auf der Stelle. Und die konventionelle Dramödie "Barney's Version" langweilte über zwei Stunden mit einer Geschichte über das Leben und die drei Ehen seiner bestenfalls halbsympathischen Hauptfigur - abgesehen von ein paar pointierten Dialogwitzigkeiten Dustin Hoffmans. Der US-Schauspieler kam aber anders als Hauptdarsteller Paul Giamatti nicht persönlich an den Lido, um wenigstens zum Finale noch einmal ein wenig Starrummel zu verbreiten, der dieses Mal ohnehin enttäuschend selten stattfand. Auch beim einzigen deutschen Konkurrent um den Goldenen Löwen - Tom Tykwers "Drei" - kam kaum Begeisterung auf. "Es gibt immer die gleichen Geschichten über die Liebe. Wir brauchen aber neue Geschichten", sagte Sebastian Schipper, Teil des Hauptdarstellertrios mit Sophie Rois und Devid Striesow, in Venedig. In "Drei" sieht das wie folgt aus: Im Zentrum steht ein Paar, das schon lange zusammen ist und sich im kinderlosen, bildungsbürgerlichen Leben in der Berliner Altbauwohnung vortrefflich eingerichtet hat. Unabhängig voneinander beginnen sie aber jeweils eine Affäre mit demselben Mann (Striesow). "Dass daraus eine romantische Komödie werden könnte, war eher ein running gag beim Dreh, denn die Tendenz des Films habe ich erst später herausgefunden", so Tykwer auf der Pressekonferenz. "Wir haben uns aber gut amüsiert während des Drehs und die Hoffnung, dass sich das auch überträgt." Tykwers in einen aufgesetzt intellektuellen Kontext gefasster Film ist jedoch zu verkopft geraten. Und so ist auch sein Film nicht der große Publikums-Favorit, der in diesem gänzlich Jahr fehlte. Welcher Film macht das Rennen? Sofia Coppola könnte durchaus Chancen haben für die schöne Vater-Tochter-Geschichte "Somewhere". Aber auch die grelle Politgroteske "Balada triste de trompeta" des Spaniers Alex de la Iglesia. Oder sogar Takashi Miikes blutsudelnde Samurai-Metzelschlacht "13 Assassins".

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