Keine Entschuldigung fürs Nichtstun

Seit Jahren füllen sich die Bücherregale mit Titeln zum Klimawandel. Katastrophenszenarien haben Konjunktur, Abwiegelung wider besseres Wissen ebenfalls. Sieht man von wissenschaftlichen Fachbüchern ab, handelt es sich meist um populäre Bearbeitungen eines zum Modethema verkommenen Problems, publizistisch aufgeladen, so dass diese Bücher von Science Fiction kaum zu unterscheiden sind

Seit Jahren füllen sich die Bücherregale mit Titeln zum Klimawandel. Katastrophenszenarien haben Konjunktur, Abwiegelung wider besseres Wissen ebenfalls. Sieht man von wissenschaftlichen Fachbüchern ab, handelt es sich meist um populäre Bearbeitungen eines zum Modethema verkommenen Problems, publizistisch aufgeladen, so dass diese Bücher von Science Fiction kaum zu unterscheiden sind. Je weiter die Projektion in die Zukunft verschoben wird, desto drastischer wird die Perspektive. Keiner der Leser wird diese ferne Zeit noch erleben, Handlungsbedarf entsteht erst im Futur. Es gibt aber noch das Futur zwei: Wir werden versagt haben! Harald Welzer, Direktor der "Futur zwei - Stiftung Zukunftsfähigkeit", ist einer der Herausgeber eines in diesen Tagen erschienenen Buches, das die beklagenswerten Fehler der Klima-Bestseller nicht wiederholt.

Die erste richtige Entscheidung, die Welzer zusammen mit seinem Mitherausgeber Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdamer Institut für Klimaforschung (PIK) getroffen hat, ist die Projektion auf ein Szenario im Jahr 2040. Das ist ein Zeitpunkt in etwa einem Vierteljahrhundert, zu dem die meisten der heutigen Leser noch leben werden. Bis dahin werden sie an Entscheidungen beteiligt sein, aufgerufen sein, demokratisch, gesellschaftlich oder auch individuell zu entscheiden. Ein solcher Zeitraum ist zwar in einer Epoche ungewöhnlich, in der Quartalsberichte von Unternehmen deren gute Kontrolle suggerieren. Aber er fällt für die meisten Menschen nicht aus einem vorstellbaren Rahmen. Es gibt jedenfalls während dieser 25 Jahre keine Entschuldigung fürs Nichtstun.

Die zweite, noch wichtigere Weichenstellung trifft das Buch mit der Entscheidung, die naturwissenschaftliche Klimaforschung und die politische Sozialforschung gemeinsam an die Erarbeitung eines solchen Szenarios zu setzen. Wie wird unsere Gesellschaft mit dem Klimawandel umgehen, welchen Einfluss wird sie auf die Entwicklung nehmen, wie wird sie sich durch die drastischen Veränderungen unserer physischen Umwelt selbst verändern? Vor allem: Welche Möglichkeiten gibt es?

"Zwei Grad mehr in Deutschland" heißt das außerordentlich informative Buch. Der Titel greift die schon jetzt feststehende Erwärmung durch bestehende, nicht mehr vermeidbaren Belastungen auf - es wirft also einen realistischen, aber keinen ängstlichen Blick auf das Jahr 2040. An dem Buch haben Wissenschaftler des PIK mitgearbeitet, die den Stand des heutigen Wissens zum Klimawandel kritisch und ohne ideologische Scheuklappen darstellen. Sie berechnen anhand des vorliegenden Zahlenmaterials die wahrscheinlichen physischen und geographischen Auswirkungen auf das Gebiet der Bundesrepublik; eine ebenso glänzende Gruppe von Sozialwissenschaftlern um Harald Welzer rechnet die gesellschaftlichen Auswirkungen der Veränderungen unter Einbeziehung der Erfahrungen aus früheren Hochwasser-Katstrophen in Deutschland hoch.

Die allgemeinverständliche Darstellung komplexer naturwissenschaftlicher und soziologischer Sachverhalte ist eine Kunst, denn dabei geht die wissenschaftliche Präzision nicht verloren. Die Intention des Buches ist klar: Aufklärung und Überwindung von Gleichgültigkeit. Das Fazit: "Gesellschaften sind also gut beraten, weiterhin die anthropogenen Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen, und damit zu versuchen, innerhalb eines klimatischen Korridors zu verbleiben, der die Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Zustands ermöglicht, den wir als lebenswert erachten." Die Autoren wenden sich also an Jüngere, die die künftigen gesellschaftlichen Zustände noch erleben werden und während ihrer Lebenszeit Einfluss nehmen können.

Gerstengarbe/Welzer: Zwei Grad mehr in Deutschland. Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird - Das Szenario 2040. Fischer, 320 S., 12,99 Euro.

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