Kein Mensch ist ernster als ein Clown

Von der ungewöhnlichen „Freundschaft fürs Leben“ zwischen Charles Chaplin und Winston Churchill erzählt der österreichische Autor Michael Köhlmeier in „Zwei Herren am Strand“.

Charles Chaplin (1889-1977) und Winston Churchill (1874-1965) sind die großen mythologischen Figuren des 20. Jahrhunderts. Erstmals treffen sie in den 1920er Jahren als Gäste einer Prominentenparty in Santa Monica, Kalifornien, aufeinander. Am Strand spazieren sie dort zusammen "mit hochgezogenen Hosenbeinen über den Sand" und offenbaren einander ihre schweren Depressionen. Als Heilmittel der Wahl gegen die Melancholie erkennen die beiden Briten fortan ihre Begegnungen. Ihre Treffen bleiben geheim. Ihre "Spazierganggespräche" möchten sie nicht mehr missen: "talkwalks" nennt sie Chaplin, "duck-walk-talks" selbstironisch "der korpulente Churchill". Unterschiedlicher könnten Freunde kaum sein: Chaplin, in den Zwanzigerjahren weltweit einer der beliebtesten Filmstars, hatte seine Kindheit in Kellerlöchern und Armenhäusern gefristet und liebäugelt mit dem Kommunismus. Churchill, der konservative Schatzkanzler, ist adelig. Die ungleichen Freunde verbindet ihre Feindschaft gegen Hitler, doch schließen sie einen Pakt gegen den Feind, der in ihnen selbst sitzt - die Depression. Vereint stehen sie gegen den "schwarzen Hund" - so nennt Churchill die dunklen Seelenzustände.

Churchill flüchtet sich in diesen düstersten Stunden in künstlerische Arbeit, die den "schwarzen Hund" bändigen soll: Er malt. Chaplin leidet unter Angstzuständen, wenn er einen Film abgedreht hat. Die lähmen ihn "bis zur Sprachlosigkeit". "Keinen Menschen auf der Welt" gebe es, "der ernster wäre als ein Clown", lautet Chaplins paradox anmutende Erkenntnis. Auch ihm hilft die Kunst, wenn er am Abgrund steht - die Komik, die Clownerie. Beider fiktives Bündnis gegen die jähe Seelenfinsternis ist historisch nicht überliefert: Belegt ist ihre freundschaftliche Bindung und ihr Seelenschmerz. Das Buch erzählt leidenschaftlich, einfühlsam und voller Ironie zugleich über die dunklen Stunden der Melancholie. Das verblüfft und berührt uns, weil der Autor nicht nur aus einem Füllhorn der Phantasie schöpft, sondern die fiktiven Geschichten schlüssig mit den Fakten verwebt. Gerade auch als Essay zur Kultur- und Filmgeschichte lässt sich das Buch lesen und es liefert dabei ungewöhnlich anregende Erkenntnisse.

Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand. Carl Hanser Verlag , 256 Seiten. 17,90 €

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