Jugendbuch-Tipp: Von gestohlenen Leben und einem kalten Herz

Ein Kind verschwindet, die Mutter macht sich auf eine Suche, die zum Martyrium wird. Es ist ein schweres Thema, das Beth Kephart in „Mein Ein und Alles“ sehr kunstvoll erzählt.

Nur kurz hat sie ihr Baby alleine gelassen, um im Haus eine Decke zu holen. Als sie zurückkommt, ist die Schaukel leer, das Kind verschwunden. Die Polizei und sogar der Ehemann begegnen Emmy mit Misstrauen. Warum hat sie nicht besser aufgepasst? Emmy macht sich auf, in der Dunkelheit ihr Baby zu suchen, eher will sie nicht nach Hause kommen. Das wird sie auch nicht: Die Suche wird zu einem Martyrium.

Von gestohlenen Leben, vom Weggesperrtsein, emotionaler Ausbeutung und dem unerschütterlichen Drang, zu sich selbst zu finden, erzählt Beth Kepharts "Mein Ein und Alles". So hart die Themen, so behutsam, poetisch und bildhaft ist Kepharts Sprache. Da ist einmal Emmy, deren Kind gestohlen wurde und die nach einem angeblichen Nervenzusammenbruch in eine Anstalt gebracht wird. Die Insassen werden ruhiggestellt, mit Medikamenten, brutalen Tauchbädern und Fixierungen. Doch Emmy gibt sich nie auf, auch nicht die Hoffnung, ihre Tochter wiederzufinden. Und da ist - in einer Parallelhandlung - Sophie, deren Mutter sie von einem Ort zum nächsten schleppt, die Dinge anderer Leute hortet und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Die aktuell neuen Nachbarn interessieren sich für Sophie - zwei alte Tanten und der Junge Joey, der nach Popcorn riecht und frischer Wäsche. Sophie lernt sie kennen und will sie nicht wieder verlieren - ihrer Mutter mit dem kalten Blick und dem ruhelosen Herzen kann sie es eh nie rechtmachen.

Fein fädelt sich Kephart durch die Psychogramme, schildert Alleinsein, Trauer, Schuld und Wagemut, auch das Glück, das selten vollkommen ist und nicht zu dem kommt, der nur auf es wartet.

Beth Kephart: Mein Ein und Alles. dtv Reihe Hanser, ab 14 Jahren, 258 Seiten, 12,95 Euro.

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