"Jede ehrliche Arbeit verdient Respekt"
Worauf muss Deutschland setzen, um auch für künftige Generationen attraktiv zu sein?Franz: Dazu brauchen wir eine Wachstumsstrategie und in diesem Zusammenhang vor allem Investitionen in die Bildung. Hinzu kommen sollte eine großzügigere steuerliche Förderung von Innovationen der privaten Wirtschaft
Worauf muss Deutschland setzen, um auch für künftige Generationen attraktiv zu sein?Franz: Dazu brauchen wir eine Wachstumsstrategie und in diesem Zusammenhang vor allem Investitionen in die Bildung. Hinzu kommen sollte eine großzügigere steuerliche Förderung von Innovationen der privaten Wirtschaft. Allerdings erst, wenn die Konsolidierungsaufgabe der öffentlichen Haushalte erledigt ist.
Wie wichtig ist der Ausbau einer Ganztagsbetreuung von Kindern, um Frauen mehr berufliche Chancen zu eröffnen?
Franz: Investitionen in die Bildung zu tätigen, bedeutet nicht, sich nur auf Universitäten und Hochschulen zu beschränken. Bildungsinvestitionen sollten zudem in der frühkindlichen und kindlichen Lebensphase einsetzen. Zu denken ist beispielsweise an ein verpflichtendes Vorschuljahr vor der Grundschule, um mehr Chancengleichheit für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern herzustellen. Denn es gibt viele Kinder, die aus benachteiligten Verhältnissen kommen. Außerdem kann man mit dem Vorschuljahr auch Kindern von Migranten frühzeitig bessere Sprachkenntnisse vermitteln.
Was muss am Arbeitsmarkt verbessert werden, um die Arbeitslosigkeit noch deutlich stärker zu senken?
Franz: Das Arbeitslosengeld könnte beispielsweise zu einem echten Kombilohnmodell ausgebaut werden. Des weiteren könnten sich die Tarifvertragsparteien mehr als bisher auf Gewinnbeteiligungsmodelle in Unternehmen verständigen. Das hätte den Vorteil, dass man sich in Bezug auf die Tariflöhne Nachschlagdiskussionen erspart, falls sich die Ertragslage wesentlich besser entwickelt als zum Zeitpunkt der Lohnabschlüsse erwartet. Dann sind Arbeitnehmer automatisch am Unternehmenserfolg beteiligt.
Und wie soll das Kombilohn-Modell aussehen?
Franz: Ein solches Kombilohnmodell könnte vorsehen, dass Empfänger des Arbeitslosengeldes II, die auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind, wesentlich mehr als bisher von diesem Zuverdienst behalten dürfen. Also beispielsweise 50 Prozent anstatt derzeit nur 20 Prozent. Das schafft stärkere Anreize, eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen und aufzunehmen.Gleichzeitig könnte das Modell eine Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent vorsehen. Es muss zwar sichergestellt sein, dass jeder Berechtigte nach wie vor den ungekürzten Regelsatz erhalten kann. Aber der Empfänger von Arbeitslosengeld II muss dafür arbeiten. Denn das Arbeitslosengeld II ist keine Versicherungsleistung, sondern eine Fürsorgeleistung der Gesellschaft. Zu deren Finanzierung tragen die Krankenschwester und der Bauarbeiter mit ihrer Steuerzahlung bei. Daher haben diese Personen einen Anspruch auf eine Gegenleistung in der Form, dass die Empfänger von Arbeitslosengeld II wirklich intensiv eine Arbeit suchen und Arbeitsplätze annehmen, gegebenenfalls zunächst einmal in Arbeitsgelegenheiten bei Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden.
Was kann man für Langzeitarbeitslose tun, die schon ein Jahr und länger auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung sind?
Franz: Soweit wie möglich sollte versucht werden, geeignete Arbeiten für diejenigen zu finden, die gering qualifiziert sind. Das geht, obwohl wir nicht jedem Langzeitarbeitslosen werden helfen können. Nehmen Sie das Beispiel Amerika: Dort wird die gekaufte Ware im Supermarkt in Tüten gepackt. Oder denken Sie an Schuhputzer. Jede ehrliche Arbeit verdient aus meiner Sicht Respekt. Der Tankwart, der Serviceleistungen vollbringt, wäre ein weiteres Beispiel. Früher gab es außerdem Beschäftigte, die morgens Milch und Brötchen vor dier Haustüre stellten. Das sind alles Arbeitsplätze, die Achtung verdienen, die aber auf Grund zu hoher Lohnkosten entfallen sind. Wenn das dort erzielte Einkommen nicht zum Lebensunterhalt reicht, können wir es mit Hilfe des Arbeitslosengelds II aufstocken. Das ist doch wesentlich besser, als diese Menschen mit einem Mindestlohn, der diese Arbeitsplätze wieder vernichtet, in die Arbeitslosigkeit zu schicken.
Hintergrund
Professor Wolfgang Franz, 1944 geboren, ist seit März 2009 Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Dieser Sachverständigenrat hat fünf Mitglieder. Deshalb ist er unter der populären Bezeichnung "Die fünf Weisen" bekannt. Das Gremium berät regelmäßig die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen. Aber auch Entscheider in der Wirtschaft können sich anhand der Untersuchungen der "fünf Weisen" regelmäßig einen umfassenden Eindruck über neueste Entwicklungen und deren Bewertung verschaffen. Einmal im Jahr erstellt das Gremium ein Gutachten, das der Bundesregierung jeweils bis zum 15. November zugeleitet wird. Spätestens zwei Monate danach nimmt die Bundesregierung dann in ihrem Jahreswirtschaftsbericht Stellung. ts