Jazz als Schmelztiegel der Genres

St Wendel · Am 12. September starten die 24. St. Wendeler Jazztage. Motto: „Vom Orient zum Okzident“. Doch ein Folklore-Festival soll es nicht werden, sagt der Leiter Ernst Urmetzer. Er setzt auf Grenzgänger wie Enrico Pieranunzi und Rabih Abou-Khalil.

 Musikalische Wanderer zwischen den Kontinenten: L'Hijâz'Car aus Straßburg sind am 19. September zu Gast in St. Wendel. Foto: Ver

Musikalische Wanderer zwischen den Kontinenten: L'Hijâz'Car aus Straßburg sind am 19. September zu Gast in St. Wendel. Foto: Ver

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In einer Zeit, in der islamistische Terroristen Angst und Schrecken verbreiten, in der in Deutschland die Anschläge auf Moscheen dramatisch zunehmen, in einer solchen Zeit ist selbst das interkulturelle Motto eines Musikfestivals politisch aufgeladen: "Vom Orient zum Okzident" sind die 24. internationalen St. Wendeler Jazztage überschrieben. Natürlich, so Festivalchef Ernst Urmetzer, hätten die politischen Umstände zur Wahl des diesjährigen Programmschwerpunkts beigetragen, auch wenn die Idee schon länger in seinem Kopf herumgespukt sei. Denn "der Orient ", so Urmetzer, "beginnt musikalisch bei uns". Will heißen: Die Verschmelzung jahrhundertealter Musiktraditionen ist im 21. Jahrhundert längst Realität - im Pop, erst Recht aber in einem Schmelztiegel-Genre wie dem Jazz .

"Natürlich kann Musik keine politischen Probleme lösen", so Urmetzer, "aber sie kann die Basis herstellen für einen Austausch". Einen Austausch, der weit in die Geschichte weist, was auch das Motiv des diesjährigen Festivalplakats - ein zur Mondsichel geformtes Becken - andeutet. Denn wie Triangel und Trommel, so fanden auch die Becken über osmanische Militärkapellen den Weg nach Europa und damit in die abendländischen Sinfonieorchester. Wie überhaupt die Geschichte des Kultur-Austauschs eine wenig romantische ist, Krieg und Gewalt fast immer den Ausgangspunkt bildeten. Auch im Falle der Oud, der arabischen Kurzhalslaute, die Kreuzfahrer von ihren Kriegszügen nach Europa mitbrachten. Hierzulande ist sie heute untrennbar mit dem Namen Rabih Abou-Khalil verbunden. Seit den 80ern braut der gebürtige Libanese, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, in immer neuen Besetzungen aus Elementen der arabischen Musik, des Jazz , des Blues und der Klassik eine ebenso kraftvolle wie geheimnisvoll-verspielte musikalische Melange. Am 20. September (22 Uhr) kredenzt sie der Oud-Virtuose zusammen mit Luciano Biondini (Akkordeon) und Jarrod Cagwin (Percussion) dem St. Wendeler Publikum.

"Ich wollte ausdrücklich kein Folklore-Festival", sagt Urmetzer mit Blick auf das Programm, das mit klarem inhaltlichen Profil dieses Jahr ausgesprochen rund geraten ist. Daher treffen die für unsere Ohren so typisch orientalisch klingenden mikrotonalen Strukturen und die vielen fremdartigen Blas- und Saiteninstrumente immer wieder auch auf Vertrautes: Zum Beispiel auf saftige Rock-Grooves beim Transorient Orchestra, einer interkulturell besetzten Weltmusik-Bigband mit Basis in Nordrhein-Westfalen. Mit einem Prolog-Konzert am 12. September (20 Uhr, Kulturzentrum Alsfassen) bestreitet sie den Festival-Auftakt eine Woche vor dem eigentlichen Beginn.

Bevor am Freitag, 19. September, 22 Uhr, die Straßburger Band L'Hijâz'Car mit ihrem rauen, archaischen Sound wieder gen Nordafrika abhebt, verweilt der Pianist Enrico Pieranunzi (20 Uhr) zunächst in vertrauten Dur- und Moll-Gefilden. "Pieranunzi repräsentiert als Italiener das Europäisch-Mediterrane", sagt Urmetzer. Der 64-jährige Römer, am Jazzklavier einer der "letzten großen Romantiker", wie es oft heißt, kommt mit Klarinettist Gabriele Mirabassi und Bassist Luca Bulgarelli - und einem Programm voll luftig-zarter Melodien und sanft-melancholischen Harmoniewendungen. Bei Saxofonist Eric Séva (20. September, 20 Uhr) und seinem deutsch-französischen Quartett mit Pianist William Lecomte, Bassist Jens Loh und Schlagzeuger Antoine Fillon dominitert dann eindeutig der Jazz das Folkloristische.

Den Festival-Abschluss am Sonntag, 21. September, hat Urmetzer, der Dank stabiler Zuschüsse und viel ehrenamtlichem Engagement seit Jahren mit konstantem Budget planen kann, bewusst dem Motto entzogen. Er steht - abgesehen von einer "Jazz for Kids"-Matinee mit dem Panama-Ensemble (11 Uhr) vor allem im Zeichen eines Jubiläums: Jazztrain, die Landesschüler Bigband des Saarlandes feiert 25-Jähriges. Urmetzer hob das Ensemble, das sich an Nachwuchsjazzer ab 14 Jahren wendet, einst aus der Taufe und etablierte es (ab 1994 zusammen mit Matthias Ernst) als ambitionierte Talentschmiede. Heute kann Urmetzer, der die Leitung Anfang des Jahres an Frank Hahnhaußen abgab, auf viele intensive Arbeitsphasen mit renommierten Dozenten, Tourneen ins Ausland und vier CD-Produktionen zurückblicken. Am Sonntag, 18 Uhr, wird er nochmal selbst das Dirigat übernehmen. Dann stehen auf der Bühne etliche Ehemalige, teilweise längst als Profis aktiv wie Saxofonist Martin S. Schmitt oder Pianist Christian Pabst. Sie feiern ihre Erfolgsgeschichte.

 Rabih Abou-Khalil (m.) mit seinem Quintett. In St. Wendel tritt er im Trio mit Perkussionist Jarrod Cagwin (l.) und Akkordeonist Luciano Biondini (r.) auf. Foto: Gert Rickmann-Wunderlich

Rabih Abou-Khalil (m.) mit seinem Quintett. In St. Wendel tritt er im Trio mit Perkussionist Jarrod Cagwin (l.) und Akkordeonist Luciano Biondini (r.) auf. Foto: Gert Rickmann-Wunderlich

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 Die Landes-Schüler-Bigband Jazztrain. Foto: WND Jazz

Die Landes-Schüler-Bigband Jazztrain. Foto: WND Jazz

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Auf einen BlickDie St. Wendeler Jazztage beginnen am 12. September mit einem Prolog im Kulturzentrum Alsfassen: Ab 20 Uhr spielt das Transorient Orchestra. Das eigentliche Festival läuft eine Woche später, 19. bis 21. September. Karten unter Tel. (06 51) 9 79 07 77. Das vollständige Programm im Internet: www.wndjazz.de jkl

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