Italien verliert seinen Stabilitäts-Anker

Rom · In Straßburg hat Italiens Regierungschef Matteo Renzi gestern die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes bilanziert. Und ließ dabei deutlich erkennen, was seine Gedanken in diesen Tagen beherrscht: der Rücktritt von Staatspräsident Giorgio Napolitano . "Binnen wenigen Stunden" werde der "überzeugte Europäer" sein Amt niederlegen, kündigte Renzi im EU-Parlament an.

Rom stehen damit hitzige Wochen bevor.

Napolitano wird im Juni 90 Jahre alt. Das Mandat hatte er im April 2013 nur unter der Bedingung angenommen, dass Italiens Parlamentarier endlich die Reformen umsetzen, über die sie seit Jahrzehnten diskutieren. Die Parteien waren damals so zerstritten, dass sie sich nicht auf einen Nachfolger einigen konnten. Deshalb flehten sie den national wie international angesehenen Ex-Kommunisten trotz seines hohen Alters an, das Präsidentenamt nach 2006 zum zweiten Mal zu übernehmen.

Seinen Rücktritt kündigte Napolitano, der bei ständig wechselnden Regierungen immer als Garant der Stabilität galt, bereits in der Neujahrsansprache an. Sein Entschluss legt auch nahe, dass er Italien und die Regierung Renzi mit ihren Reformschritten nun auf dem richtigen Weg sieht. Dennoch ist das Land in einer sensiblen politischen Situation. Instabile Verhältnisse wie etwa in Griechenland, wo am 25. Januar gewählt wird, kann sich die EU nicht auch noch in der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft erlauben. Wenn nun aber für einige Wochen das höchste Amt im Staat unbesetzt ist, verliert Italien vorübergehend seinen ruhenden Punkt.

Renzi will mit dem Wahlgesetz und der Verfassungsreform zwei Pfeiler seiner Reformbemühungen noch vor der richtungsweisenden Präsidentenwahl festigen. Dabei machen ihm vor allem Widerstände aus der eigenen Partei zu schaffen. Anschließend wird die Suche nach Napolitanos Nachfolger das Parlament auf die Probe stellen. 15 Wahlgänge der Parlaments-Vollversammlung hatte es 2013 bis zur Kür Napolitanos bedurft. Zuvor war unter anderem die Wahl von Romano Prodi , Ex-Premier und ehemaliger Chef der EU-Kommission, boykottiert worden. Ihm fehlten 101 Stimmen aus den eigenen Reihen, der "Demokratischen Partei" (PD). Dennoch gehört sein Name auch jetzt wieder zu den Kandidaten, denen Chancen eingeräumt werden - sein Profil passt scheinbar perfekt auf die Anforderungen. Gesucht wird ein erfahrener Politiker mit wirtschaftspolitischer Kompetenz, der internationales Ansehen genießt.

Renzis PD hat zwar die meisten Stimmen im Parlament. Zur Wahl des Präsidenten muss sie sich jedoch mit Silvio Berlusconis "Forza Italia" oder Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung abstimmen. Ob der von Flügelkämpfen gezeichnete PD aus seinen Fehlern gelernt hat, wird sich ab Ende Januar zeigen. Dann stehen die ersten Wahlgänge zur Bestimmung von Napolitanos Nachfolger an. Können sich die Parteien wieder nicht rasch auf einen Kandidaten einigen, sind Parlaments-Neuwahlen und ein institutionelles Chaos nicht auszuschließen.

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