Ist nach der Krise vor der Krise?

Europas Errungenschaften Frieden, Freiheit und Wohlstand sind - 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten und 75 nach Beginn des Zweiten Weltkrieges - keine Selbstverständlichkeiten. Das hat das Erinnerungsjahr 2014 gelehrt, da die Wirtschaftskrise noch immer nicht überwunden werden konnte und die Konfrontation mit Russland eskaliert ist.

Aus Syrien heimkehrende Dschihadisten haben die Terrorgefahr erhöht. Zu den sozialen Verheerungen, welche Eurokrise und Sparpolitik speziell im Süden hinterlassen haben, hat sich die Angst vor Krieg gesellt.

Die EU befindet sich mithin in einer existenzbedrohenden Dreifachkrise - ökonomisch, sicherheitspolitisch und legitimatorisch. Dabei sind zuletzt einige Weichen für die Zukunft richtig gestellt worden. Trotz stark auseinanderklaffender Wirtschaftsstärke existiert nun eine gemeinsame Bankenunion . Jenseits aller Kritik bekleidet in Jean-Claude Juncker nun derjenige Politiker das wichtige Brüsseler Amt des Kommissionspräsidenten, dessen Partei bei der Europawahl die meisten Stimmen bekam. Und nicht zuletzt hat der Spaltpilz, den Wladimir Putin so hervorragend zu säen versteht, eher die Menschen in Europa, nicht aber ihre gewählten Vertreter auseinanderdividieren können.

Die positiven Botschaften nehmen sich jedoch klein aus angesichts der Probleme, vor denen die Gemeinschaft steht. Das zeigt schon ein Blick auf das erste Halbjahr 2015, das turbulent zu werden verspricht. Die Eurokrise könnte eskalieren, falls nach den Neuwahlen in Griechenland am 25. Januar keine politische Übereinkunft mit einer wahrscheinlichen neuen Links-Regierung mehr möglich wäre. Im März muss die EU-Kommission ihr Urteil über die Defizitsünder Frankreich und Italien sprechen. Zudem laufen nach einem Jahr die ersten Russland-Sanktionen aus. Und nach den Unterhauswahlen im Mai wird feststehen, ob David Cameron weiterregieren und den Briten 2017 in einem Referendum den EU-Austritt anbieten wird.

Zu diesen Ereignissen, die politische Beben auslösen könnten, kommen ungelöste Altlasten: Der Binnenmarkt ist längst nicht so entwickelt, dass er den Anforderungen eines dynamischen Kontinents genügte. In Brüssel werden derzeit weitreichende Harmonisierungen in den Bereichen Digitales und Energie vorbereitet, die für Zündstoff sorgen werden. Trotz Bankenunion ist das Finanzsystem längst nicht sicher. Im Krisenfall müssten Institute womöglich wieder vom Steuerzahler gerettet werden. Und nicht zuletzt fußt die Währungsunion ohne eine abgestimmte Wirtschaftspolitik noch nicht auf einer nachhaltigen Grundlage. Im Februar soll ein Gipfeltreffen zumindest einmal wieder mit der Diskussion über eine EU-Vertragsänderung beginnen. Das Jahr 2015 - es wird eine Bewährungsprobe für die EU.

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