Medizin Im düsteren Tal der Demenz-Forschung

Homburg · Ist die Alzheimer-Forschung seit Jahren auf dem Holzweg? Der Abbruch einer großen US-Studie legt das nahe. Doch andere Untersuchungen machen Hoffnung, sagt der Demenz-Forscher der Saar-Universität, Professor Tobias Hartmann.

 Professor Tobias Hartmann erforscht an der Medizinischen Fakultät der Saar-Uni neue Strategien im Kampf gegen Alzheimer.

Professor Tobias Hartmann erforscht an der Medizinischen Fakultät der Saar-Uni neue Strategien im Kampf gegen Alzheimer.

Foto: Iris Maria Maurer

Am 21. März dieses Jahres verloren die Aktien des börsennotierten US-Biotechnologiekonzerns Biogen auf einen Schlag ein Viertel ihres Wertes. Es war ein schwerer Schlag für das Unternehmen. In der Alzheimer-Forschung löste die Nachricht jedoch ein Erdbeben aus. Denn Auslöser des Börsen-Absturzes war die Mitteilung von Biogen, die 2017 begonnene, milliardenschwere Entwicklung des Alzheimer-Medikaments Aducanumab abzubrechen. Über 3000 Patienten hatten daran teilgenommen. Mit dem vorzeitigen Ende verpufften nicht nur hochfliegende Erwartungen in diesen Wirkstoff. Es schwand auch die Hoffnung vieler Forscher, schon bald ein Medikament in die Hand zu bekommen, mit dem die Demenz geheilt oder zumindest verhindert werden kann.

Der Abbruch „stärke die Hypothese, dass die zerebralen alzheimerspezifischen Amyloid-Ablagerungen kein erfolgreiches Therapietarget sind“, heißt es in einer ebenso gewundenen wie unverständlichen Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu diesem Thema. Im Klartext bedeutet das: „Kein bisher gegen die Alzheimer-Krankheit entwickeltes Medikament heilt oder hält die Krankheit auf“, erklärt Professor Tobias Hartmann. Der Leiter des Homburger Instituts für Demenzprävention an der Saar-Universität ist überzeugt, dass „die Alzheimer-Forschung vor einem schweren, existentiellen Problem steht“. Ganz offensichtlich enthalte das bisherige Konzept der Alzheimer-Behandlung einen massiven Fehler, denn die Biogen-Studie sei nur die letzte einer Reihe gewesen, die gescheitert seien. Die Konsequenzen für Patienten und ihre Angehörigen sind bitter. Die Hoffnungen auf ein Wundermedikament in absehbarer Zeit seien verflogen. Tobias Hartmann spricht „von einem düsteren Tal, das wir durchschreiten müssen“.

Als gesichert gilt heute in Sachen Alzheimer dies: Die Krankheit zerstört schleichend das Gehirn eines Menschen. Dieser Prozess kann sich bis zu vier Jahrzehnte hinziehen. Weil das Gehirn die Ausfälle anfangs immer kompensieren kann und viele Patienten ihre Probleme vertuschen, wird die Krankheit viel zu spät entdeckt. Wenn die Behandlung einsetzt, sind die Schäden deshalb bereits massiv. In der letzten Alzheimerphase ist das Gehirn auf zwei Drittel seiner Größe geschrumpft, in und um die Nervenzellen haben sich über viele Jahre hinweg charakteristische Protein-Ablagerungen gebildet.

 Doch ab hier tappt die Wissenschaft im Dunkeln. Es ist unklar, ob die sogenannten Amyloid-Plaques nun die Folge oder die Ursache der Krankheit sind und ob es nur einen oder mehrere Auslöser der Alzheimer-Demenz gibt. Die Entwicklungen der Pharmabranche zielten darauf, die Eiweiß-Ablagerungen aus dem Gehirn zu entfernen. „Und diese Wirkstoffe waren tatsächlich extrem wirksam“, erklärt Tobias Hartmann. „Doch die Patienten hatten keine Nutzen davon. Denn gegen die Alzheimer-Symptome wirken diese Mittel nicht.“

Was nun? Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie bemüht sich um Optimismus. „Die Alzheimer-Forschung ist längst nicht gescheitert, auch wenn erneut Studien enttäuscht haben“, heißt es in einer Pressemitteilung. Tatsächlich gebe es neue Therapievorschläge, erklärt Tobias Hartmann. Jüngster Trend sei die sogenannte Kombinationstherapie mit mehreren Wirkstoffen. Doch die existiere bisher nur auf dem Papier. Die dafür nötigen Medikamente gebe es noch nicht. Von der Entwicklung eines neuen Wirkstoffs bis zum fertigen Medikament können in der Pharmabranche aber zehn Jahre vergehen. Wegen möglicher Wechselwirkungen seien bei dieser Therapie vor dem ersten Einsatz aufwändige Untersuchungen notwendig. „Die Entwicklungskosten und -risiken steigen dadurch erheblich.“

Ist also alle Hoffnung vergebens? Nein, antwortet Tobias Hartmann. Der Wunsch, heute demente Patienten mit den verfügbaren Mitteln heilen zu können, sei nicht zu verwirklichen, doch um die Möglichkeiten, Alzheimer morgen zu verhindern oder wenigstens deutlich zu verzögern, stehe es besser als gedacht. Denn in Sachen Prävention gebe es mehrere hoffnungsvolle Signale – und eines stammt ausgerechnet von einer anderen, ebenfalls vorzeitig beendeten medizinischen Untersuchung. Die sogenannte Sprint-Studie mit 9000 Teilnehmern in den USA hatte eigentlich den Nutzen von Medikamenten zur Behandlung des Bluthochdrucks untersuchen sollen. Sie war vor vier Jahren abgebrochen worden, weil den medizinischen Fachgesellschaften der USA die Erfolge dieser Mittel so eindeutig erschienen, dass sie die Medikamente anderen Patienten nicht vorenthalten wollten. Sprint untersuchte jedoch nicht nur Herz-Kreislauf-Risiken, erläutert Tobias Hartmann. Ein weniger bekannter Teil der Studie widmete sich der Frage, wie sich Medikamente zur Blutdrucksenkung aufs Alzheimerrisiko und die leichte kognitive Störung auswirken, die als Vorläufer der Demenz gilt. Und da sei das Ergebnis ebenfalls eindeutig gewesen: „Eine stringente Blutdrucksenkung vermindert das Alzheimerrisiko. Wir wissen jetzt, dass der geistige Zerfall, der vor der eigentlichen Demenz kommt, zumindest gebremst werden kann.“ Dass es möglich sei, mit fünf Jahrzehnte alten Medikamenten zur Blutdrucksenkung in der Demenztherapie etwas zu bewirken, sei die überraschende positive zweite Erkenntnis der Sprint-Studie gewesen.

Der Alzheimer-Spezialist der Saar-Universität ist überzeugt, dass auch die allseits gepredigten, aber fast ebenso oft ignorierten Regeln einer gesunden Lebensführung viel dazu beitragen können, das Alzheimer-Risiko weiter zu drücken. Der Leiter des Instituts für Demenzprävention der Saar-Universität geht in seinem Forschungsansatz davon aus, „dass Alzheimer im Grunde eine banale Stoffwechselkrankheit ist“. Die Risikofaktoren stimmten im Wesentlichen mit denen der Herz-Kreislauf-Leiden überein: Bluthochdruck, Übergewicht, schlechte Blutzucker- und Cholesterinwerte. Das Forscherteam der Saar-Universität untersucht deshalb im Rahmen des europäischen Lipididiet-Projekts Nahrungsergänzungsmittel, die Effekte einer gesunden Ernährung verstärken sollen. Das Vorbild der Studie ist die mediterrane Küche, deren positive Effekte aufs Herz-Kreislauf-System wissenschaftlich untermauert sind. Ende 2017 haben die Wissenschaftler erste, ermutigende Ergebnisse zur Alzheimer-Prävention vorgelegt. Im kommenden Jahr soll die erste Langzeit-Analyse folgen.

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