Islam-Frankreich-Fiktion

Paris · Die Schüsse auf die Journalisten von „Charlie Hebdo“ fielen am selben Tag, als in Frankreich Michel Houellebecqs Islam-Roman „Unterwerfung“ erschien. Darin malt der Autor mit trockenem Ernst und Ironie ein Zukunftsszenario Frankreichs. Doch das Erschreckende des Buches liegt weder in der Handlung noch in seiner Aussage – sondern in den Reaktionen, die es hervorruft.

Der Islam sei die dämlichste aller Religionen, kriegerisch, intolerant, er mache die Menschen unglücklich. Das sagte Michel Houellebecq 2001 nach der Publikation seines Romanes "Plattform". Klar war die Spannung da groß, als durchsickerte, dass in seinem neuen Roman "Unterwerfung" die Muslimbruderschaft im Jahr 2022 die Wahlen in Frankreich gewinnt. Schon vor dem Erscheinen wurde Kritik laut, das Buch schüre die Ängste vor Einwanderern, sogar Staatschef François Hollande meldete sich mäßigend zu Wort.

Bei einem Angriff auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo ", das dem Roman eine Ausgabe widmete, kamen zwölf Menschen ums Leben. Nach dem Anschlag hat Houellebecq die Werbetour für sein neues Buch gestoppt, um einen Freund zu betrauern: den bei dem Attentat ermordeten Kolumnisten Bernard Maris. Der Autor verteidigte seinen Text in Talkshows mit der gleichen gelassenen Eloquenz, mit der er ihn geschrieben hat. "Ich bin kein Intellektueller, ich beziehe keine Stellung, ich verteidige kein Regime."

Eines gleich vorweg: Wer dieses Buch hetzerisch nennt, hat es nicht gelesen - oder die Ironie nicht verstanden. Im Zentrum steht François, Anfang 40, Literaturwissenschaftler. Eine Art Alter Ego von Michel Houellebecq , wie man es aus seinen Büchern kennt. Der Professor unterhält sexuelle Beziehungen fast nur zu Prostituierten und zu Studentinnen. Zu intellektuellen Höhenflügen fühlt er sich nicht mehr in der Lage. Und als nach der Machtübernahme der Muslimbrüder auch noch seine derzeitige Bettgefährtin, eine jüdische Studentin, nach Israel flieht, ist die Midlifecrisis perfekt. Nachdem er den Lehrstuhl an der Universität verloren hat, geht François auf Selbstsuche. Am Ende holt ihn der neue muslimische Rektor Rediger zurück, und François konvertiert zum Islam . Zwar fehlen ihm die Miniröcke seiner Studentinnen, die jetzt Burka tragen. Dafür aber darf er bis zu vier Frauen haben. Wenn das kein Argument ist!

Bei aller Überspitzung entwirft Houellebecq das Bild eines gemäßigten Islamismus. Präsident Mohamed Ben Abbes kann fast als Sympathieträger durchgehen, der durch sein souveränes Auftreten eine Koalition der Sozialisten und der gemäßigten Rechten mit der Bruderschaft der Muslime erst ermöglicht, um einen Wahlsieg von Marine Le Pens Front National zu verhindern. In kulturkritischen Diskursen wird im Roman der Niedergang der westlichen Welt verhandelt, die durch anarchistische und nihilistische Bewegungen und die Ablehnung jedes moralischen Gesetzes am Abgrund steht. Der Islam erscheint als letzte Rettung, wie der muslimische Rektor Rediger es auf den Punkt bringt: "Der massive Zustrom von Einwanderern mit einem traditionellen kulturellen Hintergrund, der noch geprägt ist von natürlichen Hierarchien, der Unterwerfung der Frau sowie dem Respekt vor den Alten ist eine historische Chance für die moralische und familiäre Wiederaufrüstung Europas."

Das ist natürlich alles ironisch zu verstehen. Lässt sich das Rad doch nicht einfach so zurückdrehen. Der Roman ist eine Versuchsanordnung, die ohne zu verurteilen oder Fremdenhass zu schüren, ein durchdenkenswertes Zukunftsszenario entwirft. Kunst darf das. Literatur darf das. Der trockene Ernst, mit dem der Literat sich diese Welt ausmalt, ist bemerkenswert und sicher auch Schuld daran, dass er oft missverstanden wird. Michel Houellebecq trifft in Zeiten, in denen Tausende Menschen wöchentlich für Pegida demonstrieren, wieder mal den Puls der Zeit. Nicht der Roman ist das Problem. Sondern die Reaktionen darauf zeigen, dass in der Gesellschaft etwas im Argen liegt.

Michel Houellebecq : Unterwerfung. DuMont Verlag, 280 Seiten, 22,90 Euro.

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