In Venezuela stirbt die Demokratie

Caracas · Venezuela steht am Scheideweg: Das autoritär geführte Land ist auf dem besten Weg zu einer ausgemachten Diktatur. Das von der Regierung kontrollierte Wahlamt hat das Abwahlreferendum gegen Präsident Nicolás Maduro vorerst gestoppt. Aus Angst vor einer donnernden Niederlage wurden auch die Regionalwahlen verschoben. Maduro spricht schon von einer "Volksdiktatur". Die Regierungsgegner haben die politische Auseinandersetzung auf die Straße verlagert. Hunderttausende Demonstranten protestierten in dieser Woche gegen die Blockade des Abwahlreferendums. Für gestern hatte das Oppositionsbündnis MUD zu einem Generalstreik aufgerufen. Oppositionsführer Henrique Capriles drohte für kommenden Mittwoch mit einem Marsch auf den Präsidentenpalast Miraflores.

Maduro sieht sich von Feinden umzingelt. Für die schwere Krise macht der Präsident seine Gegner im In- und Ausland verantwortlich. Rechte Gruppen in Venezuela und das "Yankee-Imperium" hätten eine Verschwörung gegen die bolivarische Revolution angezettelt. Noch ermahnt die Opposition ihre Anhänger zur Friedfertigkeit - wie lange sie sich noch daran halten, ist unklar. Bei gewalttätigen Protesten gegen die Regierung im Frühjahr 2014 kamen 43 Menschen ums Leben. Maduro hat seine Schlägertrupps längst von der Kette gelassen. Vor wenigen Tagen stürmten die sogenannten Colectivos das Parlament und unterbrachen die Sitzung.

Neben dem politischen Konflikt leidet das Land mit den größten Ölreserven der Welt unter einer schweren wirtschaftlichen Krise: Wegen Devisenmangels fehlt es in den Supermärkten an Lebensmitteln und Dingen des alltäglichen Bedarfs. Ärzte und Krankenhäuser haben kaum Medikamente. Außerdem ist Venezuela mit schätzungsweise 90 Morden je 100 000 Einwohner eines der gefährlichsten Länder der Welt. In Zeiten sprudelnder Erdöleinnahmen konnte die sozialistische Regierung so manchen Erfolg vorweisen. Mit milliardenschweren Sozialprogrammen verschaffte sie Hunderttausenden Menschen Zugang zu Bildung, Gesundheitsleistungen und Wohnraum. Allerdings verteilte sie die Zuwendungen häufig wie Almosen und investierte nicht in nachhaltige Entwicklung. Nach dem Einbruch des Ölpreises kann die Regierung ihre Bevölkerung nicht einmal mehr mit dem Nötigsten versorgen.

Die Krise des Landes könnte auf die ganze Region ausstrahlen. Als im August die Grenze nach Kolumbien nach rund einem Jahr wieder geöffnet wurde, strömten an einem einzigen Tag fast 30 000 Venezolaner ins Nachbarland, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Sollte die Lage weiter eskalieren und die Menschen massenhaft ins Ausland fliehen, könnte dies die Anrainerstaaten destabilisieren.

Über das Abkommen Petrocaribe versorgt Venezuela zahlreiche Länder in der Region mit Öl zum Vorzugspreis. Damit sicherte sich Caracas nicht zuletzt auch politische Unterstützung. Sollten die Lieferungen eingestellt werden, würde das einige Staaten in die Bredouille bringen.

In Venezuela scheint die Lage festgefahren. Zwar wollen Regierung und Opposition morgen unter Vermittlung der katholischen Kirche und des Staatenbundes Unasur nach einem Ausweg aus der Krise suchen. Ob es allerdings echte Dialogbereitschaft gibt, darf bezweifelt werden.

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