In Karlsruhe steht der "kurze Prozess" vor Gericht

Karlsruhe. Viele Strafrichter werden möglicherweise umdenken müssen: Denn heute verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu Absprachen in Strafprozessen, die Richter, Staatsanwälte und Verteidiger treffen, um langwierige Verfahren durch einen sogenannten Deal abzukürzen

Karlsruhe. Viele Strafrichter werden möglicherweise umdenken müssen: Denn heute verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu Absprachen in Strafprozessen, die Richter, Staatsanwälte und Verteidiger treffen, um langwierige Verfahren durch einen sogenannten Deal abzukürzen. Dass Karlsruhe diese Praxis stark einschränken könnte, wurde bei der Verhandlung im vergangenen November deutlich. Selbst Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte den "Wildwuchs" bei den Deals beklagt und versprochen "alles zu tun, um mögliche Missentwicklungen zu korrigieren".Das hatte die Ministerin schon einmal versucht: 2009 trat ihr Gesetz in Kraft, das die schon zuvor seit Jahrzehnten illegal betriebene Praxis von Absprachen über milde Strafen im Gegenzug zu einem Geständnis und einer kurzen Prozessführung neu regelte und dabei vor allem mehr Transparenz einforderte. Die Richter müssen aber weiterhin den wahren Sachverhalt der Straftat in einer Beweisaufnahme aufklären. Doch etliche Strafrichter ignorieren diese Vorgaben, weil Beweisaufnahmen oftmals den größten Teil eines Prozesses in Anspruch nehmen.

Laut einer für die Verfassungshüter erstellten Studie kommt es in bis zu einem Drittel aller Strafverfahren zu Absprachen. Erschreckend ist dabei, dass knapp 60 Prozent der befragten Richter an Amts- und Landgerichten einräumten, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen am geltenden Recht vorbei "informell" und damit illegal vorgenommen zu haben. Als Hauptgrund gaben die Richter an, das Gesetz zum Deal sei nicht praxistauglich. Zudem könnten durch informelle Absprachen Arbeitsüberlastung und langwierige Beweisaufnahmen vermieden werden.

Für den obersten Strafrichter der Republik, den Präsidenten des Bundesgerichtshofs (BGH), Klaus Tolksdorf, ist das alles ein Unding. Dass Absprachen in das Rechtssystem eingepasst werden könnten, sei für ihn nur sehr schwer vorstellbar, sagte Tolksdorf bereits im November. Und auch Deutschlands oberster Strafverfolger, Generalbundesanwalt Harald Range, sprach sich für eine deutlich "restriktivere Anwendung" der Vorschriften zum Deal aus.

Heute wird das Gericht dem Verfassungshüter Herbert Landau zufolge nun verdeutlichen, ob und in welchen Grenzen Urteilsabsprachen zulässig sind und welche praktischen Vorgaben Strafrichtern zu Transparenz und Kontrolle gemacht werden müssen, um sie nicht "in die Illegalität zu treiben".

Einen interessanten Vorschlag dazu machte der renommierte Strafrechtler und ehemalige BGH-Vorsitzende Lutz Meyer-Goßner. Um den Widerspruch zwischen der Aufklärungspflicht und prozessverkürzenden Absprachen aufzulösen, schlägt er vor, Absprachen in einem neuen "Verständigungsverfahren" ohne Beweisführung zu erledigen. Wie in einem für leichte Fälle schon üblichen Strafbefehlsverfahren könnte ein geständiger Täter, der eine bestimmte Strafe akzeptiert, dann an einem Prozess vorbeikommen. Richter, die ihre Fälle häufig in solch schnelle Verständigungsverfahren umwandeln, fielen dann allerdings auf. Sie könnten es deshalb vorziehen, wie bisher in einem "normalen" Strafverfahren informell zu mauscheln und einem fairen Verfahren unauffällig den "kurzen Prozess" zu machen.

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