In Falk Richters Fragen-Factory

Saarbrücken · Die Universität, das Staatstheater, die Volkshochschule und die Landeshauptstadt tragen seit fünf Jahren die Poetikdozentur. Sie findet ein erfreulich großes Publikum. Am Montag ließ sich Falk Richter in seine Theater-Werkstatt schauen, einer der international populärsten deutschen Stückeschreiber.

 Im Look der Zeit: Falk Richter in der Garderobe der Alten Feuerwache in Saarbrücken. Foto: Oliver Dietze

Im Look der Zeit: Falk Richter in der Garderobe der Alten Feuerwache in Saarbrücken. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Es rattert und braust, trommelt und knackt, wenn Falk Richter (46) seine Selbstreflektionsmaschine anwirft. Wie Fließband-Produkte lässt er seine Sätze mit Turbo-Tempo in die dicht gefüllte Alte Feuerwache schießen - fast alle zerren ein Fragezeichen hinter sich her, beginnen mit einem Was? oder Wie? Richter stoppt und beschleunigt, wiederholt, variiert und moduliert. Reihung, Häufung, Redundanz, damit erzeugt er sein charakteristisches "Fragerauschen", das ihn zu Deutschlands gefragtestem Theater-Exportartikel gemacht hat. Auch am Montag erlebte man das nervige Flackern, das seine gesellschaftskritischen Stücke durchzuckt, etwa "Gott ist ein DJ", "Trust" oder "Zwei Uhr nachts". Erstaunlich. Denn Richter war eingeladen, um als Dozent seine eigene Theatertext-Produktion zu analysieren.

Doch der Autor lieferte keine Sekundär-, sondern Primärliteratur - eigens für diesen Anlass getextete Beiträge, die er mit Passagen aus Dramen und Videobildern seiner Opern-Crossover-Arbeit "For the disconnected child" (Schaubühne Berlin, 2013) kombinierte. So lernte man Richters Sounds und Beats nicht theoretisch, sondern unmittelbar kennen - und erdulden? Seine Textkaskaden transportieren den Diskursmüll unserer Zeit.

Und was ist mit dem politischen Falk Richter , seinen "Strategien gegen Hetze und Angst"? Alle, die wegen des Aufrege-Stückes "Fear" gekommen waren, wurden auf den letzten der drei Richter-Abende verwiesen. Der gerichtsrelevante Streitfall (wir berichteten) wurde nur gestreift. Trotzdem schickte das Publikum den Autor durch einen langen, munteren Frage-Parcours.

Zuvor im Mittelpunkt: der Entstehungsprozess der theaterkollektiven Work-in-Progress-Projekte, die Richter mit Choreografen, Komponisten, Performern erarbeitet. Sie interessieren ihn, wie er klar machte, derzeit mehr als einsames "Abtauchen in autistische Binnenwelten" am Schreibtisch. Am Anfang steht die radikale Ausrichtung auf "das Hier und Jetzt" samt einer seismographischen Sammelarbeit, die Tagebuch- und Notizbuch-Fragmente, Internetrecherchen, Spotifying, Interviews, filmisch dokumentierte Proben-Debatten und Improvisationen zu immensen Materialbergen häuft. Diese werden von den Richter-Mitstreitern individuell durchwühlt und zerklüftet, vor allem körperlich erforscht. Die Stichworte: Aushöhlung, Zersetzung, Verzerrung - meist geht es um exzessive emotionale Zustände, um Verzweiflung, Einsamkeit, innere Leere und Unruhe.

Richter hält es für die "Pflicht" des Autors, die Künstler, etwa auch die legendäre Schauspielerin Ilse Ritter , durch das Trommelfeuer sehr persönlicher Fragen zu schicken. Daraus erwächst dann keine klassische "Rolle", sondern eine "fiktionalisierte Person" mit biografischen Anteilen. "Mein Theater soll von Komplexität erzählen", sagt Richter. Er will die labyrinthische Undurchschaubarkeit des "Systems" nicht etwa nur anprangern, sondern helfen, die Abwehr gegenüber "kultureller Vielfalt" abzubauen. Wie? Indem er Komplexität als einen "Reichtum des Lebens heute" begreifbar macht und sie feiert.

Termine der Poetik-Vorträge (20 Uhr, Eintritt frei): 11. 1., Saarbrücker Schloss: Schreiben für Tänzer und Schauspieler. 25. 1., Stadtgalerie: Politisches Schreiben heute / Künstlerische Strategien gegen ein Klima der Hetze und Angst. Außerdem Lesung am 12. Januar, 20 Uhr im Künstlerhaus.

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