Im Gebläse der Zeittrompete

Saarbrücken. "Keiner singt wie Eduard", trällerte Ilse Werner 1941. Das war einmal. Heute, 70 Jahre später, muss es heißen: "Keiner trinkt wie Eduard", der sich regelmäßig mit Wein und Sekt genüsslich die Zunge schmiert, um redselig eine Anekdote nach der anderen zum Besten zu geben

Saarbrücken. "Keiner singt wie Eduard", trällerte Ilse Werner 1941. Das war einmal. Heute, 70 Jahre später, muss es heißen: "Keiner trinkt wie Eduard", der sich regelmäßig mit Wein und Sekt genüsslich die Zunge schmiert, um redselig eine Anekdote nach der anderen zum Besten zu geben. Als getreulicher Protokollant hat der saarländische Autor Peter "Epit" Herbertz in seinem Episodenkranz "Ulthier oder Lob der Ausschweifung" festgehalten, was im Haus des Griechisch- und Lateinpaukers an Flüssigem und Verbalem hochnotpeinlich verzapft wird.Da haben wir als Hauptakteur den Pfeifenraucher Eduard Ulthier, einen konservativen Aufmüpfer, der mit beißender Ironie seinen Zeitgenossen die Welt erklärt. Mit ihm seine Partnerin - auch "Konkubine" - Rena, die sich im Laufe der 207 Seiten von ihm abseilt, um einen Mediziner zu heiraten. Der (anonym bleibende) Ich-Erzähler, sarkastisch überschäumend in Zeitkritik und Kirchenspott, hat es - immer wieder mal - mit Freundin Monika Schrautemeyer, einer glitzernden Mischung aus Nymphomanin und Hetäre, die sich den 17-jährigen Jüngling Fridolin krallt. Der macht dann nicht nur das Abitur, sondern bei ihr auch seine sexuelle Reifeprüfung.

Dem Spießer die Stirn bieten

Bei Ulthier assoziiert man unwillkürlich "Untier". Und im übertragenen Sinn ist er das eigentlich auch, denn als "Selbstdenker" und kritische Zeittrompete bietet er dem Spießer jederzeit die Stirn. Er wühlt das auf, was der gute Bürger sauber zusammengekehrt hat. Die abendlichen Erzählkränzchen bei Ulthiers, die mitunter auch durch Beiträge der anderen Anwesenden belebt werden, bieten neben hochprozentig Anregendem auch literarische Extragenüsse. Autor Herbertz versteht nämlich sehr gehaltvoll zu plaudern und das Anekdotenhafte, dem man seine Entstehung aus öffentlichen Lesungen unschwer anmerkt, ohne Verwässern zu Erzählungsgröße aufzupolieren. Manche elegante sprachliche Wendung bleibt im Gedächtnis - der ungewöhnlich große Wortschatz lässt die zahlreichen Ironismen und Sarkasmen als intellektuelle Kugelblitze einschlagen. Nicht wenige Zitate und Anspielungen aus der antiken Literatur - teilweise im Anhang entschlüsselt und kommentiert - lassen das Herz des Reminiszenzenschnüfflers freudig hüpfen. Die Anekdoten verbinden Alltägliches und Elitär-Ausgefallenes zu einem bunten Strauß. Die Absicht des Autors, hinter die Kulissen zu schauen und die politisch-kulturellen Vorurteile des Spießbürgers zu entlarven, wird überdeutlich.

Peter Herbertz: Ulthier oder Lob der Ausschweifung. Edition Saarländisches Künstlerhaus, Reihe "Topicana", Band 23. 8 €. Lesung: Heute um 20 Uhr im Saarländischen Künstlerhaus.

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