Im China-Geschäft boomt der Frust

Peking. Europäische Unternehmen in China haben sich schon an so manche Überraschung gewöhnen müssen. Aber die plötzliche Einführung der neuen Sozialversicherungspflicht rückwirkend zum vergangenen Oktober wird als besonders ärgerliche Demonstration der behördlichen Willkür empfunden, der sich ausländische Firmen in China ständig ausgesetzt sehen

Peking. Europäische Unternehmen in China haben sich schon an so manche Überraschung gewöhnen müssen. Aber die plötzliche Einführung der neuen Sozialversicherungspflicht rückwirkend zum vergangenen Oktober wird als besonders ärgerliche Demonstration der behördlichen Willkür empfunden, der sich ausländische Firmen in China ständig ausgesetzt sehen. "Völlig aus dem Nichts wurden wir darüber informiert", kritisiert der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Davide Cucino, gestern in Peking. Zu den vielen Unsinnigkeiten gehört auch, dass Ausländer jetzt zwar in China für das Alter und Arbeitslosigkeit vorsorgen, aber ohnehin das Land verlassen müssen, wenn sie keinen Job mehr haben oder in Rente gehen. Zudem sind medizinische Behandlungen in Kliniken mit international üblichen Standards sowieso nicht versichert.Ausländische Unternehmen in China können eine ganze Litanei solcher Absurditäten aufzählen, wie auch die neue Umfrage der EU-Kammer unter ihren Mitgliedern aufzeigt. Es wird ein "ein starkes Gefühl von Frustration" festgestellt.

"Alarmierend" findet Kammerpräsident Cucino, dass mehr als jedes fünfte Unternehmen überlegt, Investitionen in andere Länder zu verlegen. Als Gründe werden vor allem die rechtliche Ungewissheit in China, die beliebige Auslegung von Vorschriften sowie die stetig steigenden Arbeitskosten - wie etwa durch die neue Sozialversicherung - genannt.

"Wenn Chinas Politik nicht zumindest grundlegende Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit erfüllt, wird es schwer sein für diese Unternehmen, im Land zu bleiben oder mehr zu investieren", warnt Cucino. Er fordert auch ein Ende der Diskriminierung ausländischer Firmen und freien Wettbewerb. China müsse den Finanzsektor und strategische Wirtschaftsbereiche öffnen, in denen Ausländer nicht investieren dürfen. Chinas Unternehmen können in Europa ohne Probleme selbst bei Wasser- oder Stromversorgern einsteigen. Die Warnung mit der Abwanderung erscheint aber als Papiertiger, wenn die gleiche Umfrage belegt, wie wichtig China für die krisengebeutelte europäische Wirtschaft geworden ist. Um 50 Prozent ist die Zahl der Unternehmen seit 2009 gestiegen, die mehr als zehn Prozent ihrer weltweiten Einnahmen in China generieren.

78 Prozent der europäischen Firmen sind trotz der leichten Abkühlung der Konjunktur weiter optimistisch über das Wachstumspotenzial im Reich der Mitte. 72 Prozent operieren heute auch "in China für China", während es im Vorjahr erst 52 Prozent waren. An dem 1,3 Milliarden Menschen zählenden Wachstumsmarkt kommt offensichtlich keiner vorbei: Drei Viertel der Unternehmen gaben an, dass China im Rahmen ihrer globalen Strategie "zunehmend wichtiger" werde. So planen zwei Drittel der Unternehmen auch neue Investitionen in der Volksrepublik - trotz wachsenden Frusts und aller Klagen.

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