"Ich spüre fast nichts mehr"

Saarbrücken. Der erste Zusammenbruch kam mit 30. Drei weitere folgten. Heute, mit 46, nach vier Jahren ohne Rückfall, fühlt sich Gamma Bak "ganz gut eingetaktet", dank Medikamenten und Psychotherapie

Saarbrücken. Der erste Zusammenbruch kam mit 30. Drei weitere folgten. Heute, mit 46, nach vier Jahren ohne Rückfall, fühlt sich Gamma Bak "ganz gut eingetaktet", dank Medikamenten und Psychotherapie. Über ihre Jahre mit der Krankheit, diagnostiziert als Schizo-affektive Psychose, hat Bak den Film "Schnupfen im Kopf" gedreht, der 2010 im Forum der Berlinale lief: eine Collage aus Videotagebuch, Videobotschaften und Befragungen von Verwandten und Freunden über den Umgang mit Baks Krankheit."Beim ersten Zusammenbruch habe ich einen großen Freundeskreis verloren. Die Leute kamen nicht mal wieder, als der Film bei der Berlinale lief. Die haben sich einfach nicht mehr getraut, hinzuschauen." Bak schätzt, da spiele auch die Angst mit, "dass so etwas einem selbst passieren könnte". Umso mehr soll ihr essayistischer Film informieren. "Das Thema Depression wurde durch den traurigen Freitod des Torwarts Robert Enke breit diskutiert - mit den Psychosen ist das bisher nicht geschehen." Erkrankte würden als unberechenbar und gefährlich gelten. Nicht zuletzt durch einige Medien: Als Bak ihren Film in den USA vorstellte und im Hotel durch die TV-Kanäle zappte, "gab es in jeder zweiten Krimiserie einen Schizophrenen, der natürlich Serienmörder war".

Die Hemmschwelle, über die eigene Krankheit zu berichten, war niedriger als die Hürde der Finanzierung. "Wer will schon das Risiko eingehen, jemandem, dessen Krankheit als gefährlich und bedrohlich eingestuft wird, 50 000 Euro Filmförderung zu geben?" So hat Bak, die Film in Vancouver studierte und experimentell arbeitet, die Produktion mit kleinen Stipendien finanziert.

Eine Szene in dieser Langzeitstudie über acht Jahre zeigt Bak nackt - sie wollte ohne Scham ihren Körper zeigen, "der dick geworden ist". Die Psychopharmaka beeinflussten den Stoffwechsel, "es kann sein, dass man innerhalb von zwei Monaten 20 bis 30 Kilo zunimmt. Das ist für die Patienten ein großes Problem und oft der Grund, dass sie sie wieder absetzen wollen."

Mit Erklärversuchen der Krankheit hält sich der Film zurück, auch wenn der hohe Erwartungsdruck der Eltern auf Bak, der akademischen Laufbahn des Vaters zu folgen, überdeutlich wird. Die Stiefmutter wagt die hilflos wirkende These, die Psychose sei endlich ein eigenes Projekt, dass nur Bak gehöre, niemandem sonst. "Vielleicht war das der Weg, den ich gehen musste", sagt Bak, "wer weiß?".

Greifbarer sind da ihre vielen Medikamente, die die Regisseurin im Abspann einzeln auflistet - ein Stück Realität, aber keine Dämonisierung von Psychopharmaka, die sie vor Rückfällen bewahren, dabei aber die Emotionen dämpfen. "Ich spüre fast nichts mehr", sagt sie einmal im Film.

Zurzeit riskiert Bak es, die Medikamente herunterzudosieren. Ein Prozess, der zwei Jahre dauern kann und an dessen Ende ein medikamentenfreies Leben stehen könnte. Dabei bleiben Sorge und auch der Argwohn der Umwelt für sie stets spürbar. "Ich lebe extrem in der Spur - denn sobald ich auffällig wirke, wird die Umwelt aufmerksam. Auch wenn es jahrelang gut läuft, sind die Erinnerungen in meinem Freundeskreis an die Krisen doch so einschneidend, dass das kaum wiedergutzumachen ist. Eine Rolle, aus der ich nicht rausgelassen werde."

"Schnupfen im Kopf" läuft morgen und am Freitag, jeweils 20 Uhr, im Kino Achteinhalb (sb). Gamma Bak kommt morgen zur Diskussion.

Auf einen Blick

Weitere neue Filme: Die Camera Zwo (Sb) zeigt die französische Familiengeschichte "Barfuß auf Nacktschnecken" und die deutsche Episodenkomödie "Die Relativitätstheorie der Liebe" mit Katja Riemann und Olli Dittrich. Im Saarbrücker Filmhaus laufen das südkoreanische Drama "Das Hausmädchen" und eine Dokumentation über die Dichterin Rose Ausländer (1901-1988): "Der Traum lebt mein Ziel zu Ende". red

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