„Ich schaffe das nicht mehr“

Leipzig · Am Donnerstag ist der Schriftsteller Erich Loest im Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstadt Leipzig gestorben. Laut Polizei nahm sich der Schwerkranke vermutlich das Leben. Loest war einer der bedeutendsten Chronisten der deutsch-deutschen Geschichte.

Das Nachlassen seiner Kräfte hatte ihm in seinen letzten Jahren erkennbar zugesetzt. Dabei wollte Erich Loest noch etwas erzählen. Mit Romanen wie "Völkerschlachtdenkmal", "Nikolaikirche" oder "Gute Genossen" hatte Loest die DDR-Geschichte, die rote Diktatur, die so schmerzlich eng mit seiner eigenen Geschichte verknüpft war, umfassend verarbeitet und zurechtgerückt. Nun wollte er gern noch seine Hitlerjugend aufarbeiten. "Aber schaffen tue ich das nicht mehr", sagte er vor zwei Jahren, "mir fehlt die Kraft."

Vor wenigen Wochen erschien trotzdem noch ein Loest-Werk zum Thema. "Lieber hundertmal irren" ist ein Buch über das Kriegsende in der Provinz und über die Anpassungsfähigkeit der Menschen an die Systeme. Mehr als 50 Bücher, ungezählte Essays und Artikel zählen zu Loest literarischem Werk. Immer wieder schrieb er gegen die Versuche an, die DDR-Geschichte zu "verkleistern", wie er sagte. Man dürfe bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht nachlassen.

Loest kommt 1926 im sächsischen Mittweida zur Welt. Nach Kriegsdienst und kurzer US-amerikanischer Gefangenschaft tritt er der SED bei und veröffentlicht den Roman "Jungen, die übrigbleiben" über die Kriegsgeneration. Die Partei wirft ihm "Standpunktlosigkeit" vor, die Zeitung, bei der er arbeitet, entlässt ihn. Es folgen Jahre als freier Schriftsteller. Den Volksaufstand am 17. Juni 1953 bezeichnet er als einen der großen Wendepunkte in seinem Leben, ähnlich wie das Ende des Zweiten Weltkriegs. Danach kann er mit der DDR keinen Frieden mehr schließen, diesem Mix aus kleinbürgerlicher Behaglichkeit und Stalinismus. Das bringt ihn nach Bautzen, lässt ihn aber auch zu einem der wichtigsten Chronisten der DDR werden.

1956 tritt er für eine Demokratisierung der DDR ein und wird 1957 wegen "konterrevolutionärer Zellenbildung" verurteilt. Siebeneinhalb Jahren Haft im berüchtigten DDR-Zuchthaus Bautzen hinterlassen tiefe Spuren. Nach der Haftentlassung 1964 kehrt Loest nach Leipzig zurück. Mit dem autobiografischen Roman "Es geht seinen Gang oder die Mühen der Ebene" meldet er sich 1978 auf der Bühne der zeitkritischen DDR-Literatur zurück. Darin zeichnet er ein illusionsloses Bild der 60er und 70er Jahre in der DDR-Provinz. Die SED setzt das Buch erst auf den Index, nach Protesten wird eine limitierte Auflage zugelassen. Loest bezeichnete es mit als sein wichtigstes Buch, "weil es in der DDR geschrieben einen völlig neuen Blick auf dieses Land warf". Loest eckt weiter an, wird aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, bekommt Publikationsverbot.

1981 verlässt er die DDR in Richtung Westen. Danach erscheint das autobiografische Werk "Durch die Erde ein Riss" über seine Haft in Bautzen. Als die Mauer fällt, kehrt er nach Leipzig zurück und verarbeitet seine Stasi-Akten in der Dokumentation "Die Stasi war mein Eckermann oder mein Leben mit der Wanze". Mit dem 1995 veröffentlichten Roman "Nikolaikirche" um die Ereignisse der Leipziger Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 setzt Loest den Demonstranten ein Denkmal.

Seine Haft in Bautzen verfolgte ihn bis ins hohe Alter. Er bereue bis heute, dass er damals nicht in den Westen abgehauen sei, sagt er noch Jahrzehnte später. Die Jahre im Knast hätten ihn fast fertiggemacht. "Wir haben eigentlich alle lebenslänglich bekommen."

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