„Ich habe mir einen Wald gekauft“

„Populärmusik aus Vittula“ hat Mikael Niemi berühmt gemacht. Der Debütroman des Schweden verkaufte sich mehr als eine Million Mal, wurde in 24 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Der heute 54-Jährige ist sehr produktiv: Er schreibte Theaterstücke, Gedichte, vier weitere Romane sind erschienen, darunter „Der Mann, der starb wie ein Lachs“. In seinem neuen, sehr spannenden Roman „Die Flutwelle“ schildert Niemi, wie die Bewohner Nordschwedens bei einer Naturkatastrophe ums Überleben kämpfen. Das Gebiet um Pajala, in dem Niemi seinen Roman angesidelt hat, kennt er sehr gut: Er lebt dort seit seiner Geburt. SZ-Mitarbeiter Günther Keil hat mit dem Schriftsteller gesprochen.

Wie weit haben Sie es von zu Hause bis zum nächsten Fluss?

Niemi: Nur ein paar Meter. Ich lebe mit meiner Familie am Torne, einem knapp 400 Kilometer langen Fluss in Lappland. Vom Wohnzimmerfenster aus sehen wir direkt aufs Wasser.

Haben Sie keine Angst, dass - wie in Ihrem neuen Roman - eine Flutwelle Ihr Haus zerstören könnte?

Niemi: Nein, denn der Torne ist ein wilder, naturbelassener Fluss. Hohe Wasserstände oder lange Regenperioden kann er ganz natürlich ausgleichen. Problematisch wird es erst, wenn man versucht, Flüsse zu bändigen. Beim Lule, dessen fiktive zerstörerische Wirkung ich in "Die Flutwelle" beschreibe, ist genau das passiert. An seinem Lauf liegen 14 große Wasserkraftwerke und zahlreiche Staudämme. Das könnte uns eines Tages zum Verhängnis werden.

Warum?

Niemi: Weil sich die Natur nicht auf Dauer kontrollieren lässt. "Die Flutwelle" ist ein Buch über Kontrolle und deren Verlust. Wir Menschen meinen ja immer, alles im Griff zu haben und die Natur folgenlos ausbeuten zu können. Doch das stimmt nicht, wie alle großen Naturkatastrophen oder die Klimaerwärmung zeigen. Unbestritten ist auch, dass die Ressourcen immer knapper werden. Auf lange Sicht gesehen zerstören wir uns selbst. Als Autor interessiert mich aber besonders, wie Menschen in einer extremen Situation reagieren. Also dann, wenn die Natur mit aller Macht zurückschlägt.

Bis jetzt galten Sie als Experte für liebenswert-skurrile Figuren und schräge Plots. Mit Ihrem Umwelt-Thriller werden Sie viele Leser überraschen.

Niemi: Das kann durchaus sein. Allerdings schildere ich die Katastrophe aus der Perspektive von zahlreichen Figuren, und manche davon sind wieder liebenswert, skurril oder schräg. Auf meine Ironie und meinen Humor würde ich auch ungern verzichten. Der Grundton dieses Romans ist jedoch tatsächlich ernster und eindringlicher. Wenn die Flutwelle kommt und alles mitreißt, bleiben schließlich nur noch die großen Fragen: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Wie verhalte ich mich, wenn nur noch wenig Zeit bis zum Tod bleibt? Denke ich nur an mich oder auch an andere? Ich schildere Szenen wie in einem Krieg, und meine Figuren müssen schwere Entscheidungen treffen.

Einer Ihrer Hauptfiguren hat nur wenige Minuten Zeit, um persönliche Dinge aus seinem Haus mitzunehmen. Was würden Sie selbst einpacken?

Niemi: Über diese Frage habe ich beim Schreiben lange nachgedacht. Ich behaupte ja wie die meisten Menschen, dass mir materielle Dinge nicht so wichtig sind. Aber letztlich hänge ich doch an vielen Sachen und will mich einfach nicht von ihnen trennen. Wenn ich die Chance hätte, noch schnell etwas mitzunehmen, dann wären es alte Fotografien aus den 50er und 60er Jahren. Sie zeigen meine Eltern, Geschwister und mich in einer Zeit, in der es noch keine Computer oder Digitalkameras gab. Es würde mir das Herz zerreißen, diese Bilder zu verlieren.

Sie leben seit Ihrer Geburt auf dem Land. Inwiefern hat Sie das geprägt?

Niemi: Ich habe großen Respekt vor der Natur. Ohne die Berge, Flüsse und Wälder meiner Heimat könnte ich es nur schwer auf Dauer aushalten - ein Leben in Stockholm käme für mich nicht in Frage. Ich liebe es, zu fischen und zu jagen. Außerdem spiele ich gerne Traditionslieder aus meiner Gegend auf dem Akkordeon und der Gitarre. Eine Folge meiner Kindheit ohne Luxus ist wohl auch, dass ich sehr einfach und bescheiden leben kann.

Wofür geben Sie dann Ihr Geld aus? Mit "Populärmusik aus Vittula" haben Sie sicher einige Kronen verdient.

Niemi: Von den Einnahmen habe ich mir einen Wald gekauft.

Einen bestimmten?

Niemi: Ja. Den, der einst meinen Eltern gehört hatte. Sie mussten ihn verkaufen und zusehen, wie er sehr schlecht versorgt wurde. Als er eines Tages zur Versteigerung angeboten wurde, saßen mein Vater und ich im Publikum und boten mit. Es war unglaublich spannend, weil der Preis immer höher stieg. Wir waren unendlich glücklich, als wir schließlich den Zuschlag bekamen.

Betrachten Sie sich grundsätzlich als Naturschützer?

Niemi: So weit würde ich nicht gehen. Ich fahre oft mit dem Auto und fliege regelmäßig in Länder, in denen meine Bücher erscheinen - vorbildlich ist das nicht. Aber wir bauen viele Lebensmittel an und kaufen fast nur Regionales. Manchmal beruhige ich mich mit folgendem Gedanken: Mein Wald entzieht der Luft jede Menge CO2 und kühlt die Atmosphäre ab, sodass mein ökologischer Fußabdruck hoffentlich doch ganz passabel aussieht.

Mikael Niemi: Die Flutwelle, btb, 320 Seiten, 19,99 Euro.

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