HTW stellt eigenes Papier zur Industrie-Förderung vor

Saarbrücken · Das Standort-Konzept von Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger greift zu kurz, sagt die Hochschule für Technik und Wirtschaft. Das Saarland müsse sich besser auf die Automatisierung in der Industrie vorbereiten.

Vor ziemlich genau zwei Monaten hat Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger ihr neues Standortkonzept für die saarländische Industrie vorgestellt. Unter dem Titel "Industrie 4.0" geht es darum, die Industrie im Land zusammen mit Wirtschaft und Forschung fit für die Zukunft zu machen.

Doch jetzt mahnt die saarländische Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) an, dass diese Entwicklung auch Gefahren birgt. "Die Entwicklung der Industrie, insbesondere der Industrie 4.0, geht in die Richtung einer zunehmenden Automatisierung", sagt Hochschul-Rektor Wolrad Rommel. Das bedeute mittelfristig einen sinkenden Bedarf an Arbeitsplätzen: "Insofern wäre eine Industrie-Strategie, die ausschließlich auf Produktion und IT-basierte Lösungen ausgerichtet ist, letztlich eine Arbeits-Abschaffungs-Maßnahme für alle Saarländer."

Die Idee dahinter ist nicht neu. Schon vor 20 Jahren hatte der Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin , Berater mehrerer US-Regierungen und der EU-Kommission, das Ende der Arbeit ausgerufen. Je weiter die Automatisierung und Roboterisierung fortschreite, desto weniger würden noch Arbeitskräfte in großer Zahl gebraucht. Auch wenn diese Entwicklung nicht in den nächsten fünf Jahren abgeschlossen werde, so müsse man sich doch jetzt schon darauf einstellen, mahnt die HTW nun in ihrem Papier "Mehr als Industrie 4.0" an.

"Der bisherige Ansatz ist zu sehr technologie-getrieben", sagt Prorektor Jürgen Griebsch. Um Industrie zu halten, und anzulocken, müsste das Saarland als Standort attraktiv bleiben. "Wenn wir unser hohes Niveau halten wollen, müssen wir egoistisch sein und uns mit einer Ellenbogenmentalität von anderen Bundesländern absetzen", sagt Griebsch.

Dazu schlägt die HTW die Förderung von sechs Standortfaktoren vor. Von eher klassischen, wie vernetzter Infrastruktur und der lokalen Verfügbarkeit von Energie, bis hin zur Verbesserung der Lebensqualität. "Darunter fallen auch Dinge wie kulturelle Angebote. Technologisch wird der Standort austauschbar sein", sagt Griebsch, "Deshalb müssen andere Faktoren stimmen. Wenn der Faktor Arbeit nicht mehr die größte Rolle spielt, kann sich der Unternehmer aussuchen, wo er produziert. Und da müssen wir attraktiv sein."

Dass ihr Papier keine endgültige Lösung für die Zukunft des Landes bietet, wenn die Zeit der Massen-Arbeit in der Industrie zuende geht, das wissen sie. Viel mehr wollen sie es als Korrektiv zum Vorschlag der Ministerin verstanden wissen. Sie wollen Partner in einer Diskussion sein, in der es auch darum geht, wie das Saarland über die nächsten fünf Jahre hinaus attraktiv bleiben kann. "Und darauf müssen wir uns schon jetzt vorbereiten", sagt Griebsch. Am Donnerstag werden er und seine Kollegen ihr Papier deshalb der Ministerin vorstellen.

Meinung:
Ausnahmsweise mal Visionen

Von SZ-RedaktionsmitgliedJanek Böffel

Nein, der Weisheit letzter Schluss ist das Papier der HTW nicht. Die Frage, wie eine Gesellschaft aussehen wird, in der es nicht mehr an Arbeitskräften, sondern an Arbeit für alle mangeln wird, lässt sich eben nicht auf einer Handvoll Seiten beantworten und treibt Sozialwissenschaftler auf der ganzen Welt um. Doch ein bisschen visionäres Denken kann unserem Land nicht schaden. Zu oft schien es in letzter Zeit so, als ende der Horizont saarländischer Zukunftsplanung im Jahre 2020 mit dem Greifen der Schuldenbremse. Das Papier der HTW mag Schwächen haben. Doch in Zeiten, in denen Fantasie sich hierzulande allzu oft auf den einfallsreichsten Sparvorschlag beschränkt, ist selbst ein Papier , das keine endgültigen Antworten bietet, eine wohltuende Abwechslung.




Hinweis:
In einer älteren Version war das Zitat "Insofern wäre eine Industrie-Strategie, die ausschließlich auf Produktion und IT-basierte Lösungen ausgerichtet ist, letztlich eine Arbeits-Abschaffungs-Maßnahme für alle Saarländer" irrtümlicherweise falsch zugeordnet. Die Redaktion hat die Korrektur online vorgenommen.

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