Hoffmanns Visionen

Saarbrücken · Ein Triumph ist sie nicht, die erste Neuproduktion der Opernsaison am Staatstheater. Aber „Hoffmanns Erzählungen“ im Theaterzelt fesseln musikalisch – auch wenn die Regie bisweilen ratlos macht.

 Flottes Tänzchen zu Offenbachs Musik: in der Mitte Sylvia Koke (mit Skelett-Schminke) und Jennifer Mai. Fotos: Thomas Jauk

Flottes Tänzchen zu Offenbachs Musik: in der Mitte Sylvia Koke (mit Skelett-Schminke) und Jennifer Mai. Fotos: Thomas Jauk

 Der Dichter bei der Arbeit: Mickael Spadaccini als Hoffmann.

Der Dichter bei der Arbeit: Mickael Spadaccini als Hoffmann.

Typisch Männer- fantasien, die da gezeigt werden: Die Angebetete ist Heilige und Hure zugleich, Heimchen mit allzeit bereitem Klopfsauger, sie könnte aber auch als Dessous-Modell durchgehen. Ja, auch ein Dichter ist halt bloß ein Kerl. Und dieser Herr Hoffmann, so wie ihn Regisseur Immo Karaman jedenfalls im Saarbrücker Theaterzelt sieht, erweist sich trotz ständigen Künstlerhaupt- und Barthaarraufens als ziemlich kalkulierbarer Macho. Wobei das natürlich nur ein spöttisches Zerrbild sein kann. Denn so sind wir Männer doch nicht. Oder?

Aber, stopp, bringen wir jetzt erstmal Ordnung in die Chose. Was schwierig ist. Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen", die jetzt nicht im, sondern vorm Staatstheater im Zelt gezeigt wird, präsentiert sich gute 130 Jahre nach der Pariser Uraufführung in bunter Fassungsvielfalt. Auch nach Ableben des Komponisten wurde daran munter weitergearbeitet. Und nicht zu vergessen: Der Namenspatron und Geschichtengeber für das Musikwerk, E. T. A. Hoffmann, war ein Dichter, dem märchenhaft Verrücktes aus der Feder floss.

Kenner raunen darum: "Hoffmanns Erzählungen" seien - quasi Umberto Eco vorgreifend - ein offenes Kunstwerk. Man kann es aber auch als Sammelsurium grandioser Einfälle und Musiken nehmen. So viel lässt sich aber sagen: Es geht um Frauen, konkret um Antonia, Olympia, Giulietta, die so verschieden sind und doch immer die eine sind - in der Vorstellung des Dichters.

Karaman setzt da mit Bühnenbildnerin Aida Leonor Guardia zwei Welten in Kontrast. Die eine kommt quasi vom historischen Offenbach, lässt den Pariser Amüsierbetrieb vor gut 150 Jahren aufleben, die Varietés, die Theater. So schaut man auf viel netzbestrumpftes Schenkelwirbeln, frivole, herrlich überdrehte Federtänze. Das alles liebevoll inszeniert als Jahrmarktsbudenzauber. Klasse passt das ins Theaterzelt, wo jedes Auto, das draußen am Tbilisser Platz vorbeibraust, das Martinshorn, das in die Barcarole reintutet, irgendwie auch mitspielt, dem Orchester leider hörbar Konkurrenz macht; ein Opernabend mit reichlich Nebengeräuschen.

Karamans andere Ebene zeigt den Arbeitsplatz des Dichters, eine schäbige Wohnküche mit Reiseschreibmaschine und enormem Kühlschrank. In den stopft der nervlich angeknockte Hoffmann die tote Geliebte, wenn's an der Tür klingelt. Da springt aber auch Olympia als automatisierte Putzfee wieder aus: eisgekühlte Visionen, die durch das Dichterhirn spuken. Sylvia Koke singt all diese (Wahn-)Vorstellungen von einer Frau, alle Partien, schon das ein Bravourstück. Und so wie sie, mal spielerisch-flink Koloraturen (Olympia) singt, dann aber auch Verletzlichkeit (Antonia) zum Klingen bringt, ist das grandios. Dazu spielt Jennifer Mai die diversen Damen, denn nahezu alles wird bei Karaman gedoppelt, vervielfacht. Man fühlt sich ohnehin wie in einer Zeitschleife gefangen: Und ewig grüßt der Hoffmann.

Genau hier ermattet einen dieses Bilderrauschen aber auch, das zwar nie langweilt, aber auch nicht zufrieden macht. Weil man sich fragt: Was will einem Karaman eigentlich erzählen? Warum sieht dieser Hoffmann wie ein langbärtiger Hipster aus Berlin-Friedrichshain aus? Wozu dieses Hin und Her zwischen einst und jetzt?

Eindeutiger ist da, was man hören kann: eine großartige Judith Braun als "Muse", ein souveräner James Bobby in ständiger Rollenrotation (Coppélius, Miracle und Dapertutto). Vor allem aber Mickael Spadaccini, der in der Titelpartie mit seinem beweglichen, klangschönen Tenor beeindruckt.

Für das Staatsorchester nun ist das Zelt eine echte Prüfung: Die Musiker sitzen auf dem Präsentierteller. In der trockenen Zelt-Akustik hört man jedes Instrument überdeutlich, keine guten Bedingungen für blühenden Orchesterklang. Doch Dirigent Gregor Bühl animiert zu Schmelz und Schwung, und so rauscht und wogt es immer schöner. Ja, man hätte gerade dem musikalischen Teil der "Erzählungen" gern noch länger gelauscht. Aber nach 22 Uhr darf im Zelt nicht mehr laut musiziert werden, des Lärmschutzes wegen. Bleibt wohl nur eins: nochmal hingehen!

Vorstellungen: 27. und 29. September, 10., 12., 16., 22., 24., 26. und 30. Oktober. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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