Der Trabant wird 60 Herzlichen Glückwunsch, Genosse Trabi!

Zwickau/Saarbrücken · Das DDR-Kultauto rollte vor 60 Jahren erstmals vom Band.Zum Geburtstag ein persönlicher Rückblick auf die Rennpappe.

 Fahrt zur Großen Freiheit: Mit dem Trabi ging es nach der Wende auch auf West-Erkundung. Trabi-Schlangen auf der Hamburger Reeperbahn waren 1989 keine Seltenheit.

Fahrt zur Großen Freiheit: Mit dem Trabi ging es nach der Wende auch auf West-Erkundung. Trabi-Schlangen auf der Hamburger Reeperbahn waren 1989 keine Seltenheit.

Foto: dpa/Carsten Rehder

Klar, jeder freut sich doch, wenn er ein Auto gewinnt. Was aber, wenn’s ein Trabant ist? Dann ist die Freude eher so naja. Als mir das Glück einen Trabi bescherte, verrottete das einstige Lieblingskind der Genossen längst schon auf dem Schrottplatz der Geschichte. 1994 war’s: Ich kaufte ein Los für eine Lotterie der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt, die damit die Premiere ihres Musicals „Marilyn“ feierten. Plötzlich hatte ich einen mitternachtsblauen Trabant P 601. Frisch lackiert und über und über mit Monroe-Bildern beklebt. Bloß der zweite Preis übrigens. Der erste war eine Reise in die USA. Durchaus vielsagend: Worauf man in grauen DDR-Zeiten sparte und sparte und zehn, manchmal zwölf Jahre warten musste, war nach der Wende schlagartig wertlos. Den neuen Bundesbürgern galt das Alte eben nicht mehr viel. Das zumindest machten ihnen die aus dem Westen weis.

Ich Wessi hatte zum Glück reichlich Ost-Verwandtschaft, die dem Neu-Trabant-Besitzer mit gutem Rat und in sozialistischen Mangeljahren gehamsterten Ersatzteilen halfen. Trabant fahren war nämlich wie nochmal Führerschein machen. Schließlich stammte die Knatterkiste in ihrer über Jahrzehnte kaum veränderten Konstruktion noch aus den 50ern. Genau heute vor 60 Jahren lief der erste Trabant, der Typ P 50 mit schwachbrüstigen 18 PS, in Zwickau vom Band. Rundlicher noch als sein Nachfahre, der  P 601, der bekannteste Trabi, der 1964 beim VEB Sachsenring Fahrt aufnahm. Vor dem Anlassen des Gefährts musste man erst mal den Benzinhahn auf „offen“ stellen. Sonst blieb der Zweitakter stur wie eine Volkspolizistin. War es dann endlich in Fahrt, lehrte einen das 26-PS-Wägelchen bald, was SED-Chef Walter Ulbricht wohl einst mit „überholen ohne einzuholen“ gemeint haben könnte. Tempo 100 schaffte man höchstens mit Rückenwind. Vor allem das Betanken der Rennpappe war eine Wissenschaft für sich. Der kleine Stinker dürstete nämlich nach einem Gemisch aus Benzin und Öl. Was man nur nach Gefühl mixen konnte. Zog er nachher eine dicke blaue Fahne hinter sich her, war zu viel Öl im Tank. Fehlte Schmierstoff, drohte das Nähmaschinenmotörchen zu verrecken.

Dabei war der P 50 zu seiner Zeit im Grunde ein hochmodernes Auto. Kompakt, dank Plaste-Karosse leicht. Und er bot Platz für vier Personen. Damit war der volkseigene Betrieb in Zwickau durchaus konkurrenzfähig. Selbst in die Schweiz wurde der Trabant zu Beginn exportiert, bis man kein Geld mehr in die Entwicklung steckte. Wie findig die Sachsenring-Ingenieure aber waren, zeigt die Außenhaut des Wagens, von der die Rennpappe ihren Spitznamen hat. Weil Eisen und Stahl in der DDR rar waren, wurde eine Karosserie aus mit Baumwolle verstärktem Phenoplast entwickelt. Auf den ersten Blick rostete der Kleinwagen darum nicht. Das tragende Skelett aber war aus Stahl; und rostete umso heftiger. Zuverlässig war er trotzdem. Zwar gehörten Trabantfahrer, die am Straßenrand ihren Zweitakter zerlegten, zu den typischen DDR-Szenen. Beinahe jeder aber konnte sich selbst helfen, und so wuchs auch die innige Beziehung zum Fahrzeug: Der Trabant war für viele eine Art Familienmitglied. Mit dem ging es dann auch an die Ostsee, nach Ungarn. Oder nach Prag. Und als die Mauer fiel, schließlich auch in die Freiheit. Trabi-Schlangen vor dem KaDeWe in West-Berlin oder auf der Hamburger Reeperbahn wurden zum Zeitbild gesamtdeutscher Geschichte.

Rund drei Millionen Trabant wurden gebaut. Zum Schluss versuchte man sogar noch, ihm mit einem VW-Polo-Motor den blauen Zweitakter-Dunst abzugewöhnen. Doch 1991 ging es nicht mehr weiter. Trabi fuhr bloß noch, wer sich keinen Westwagen leisten konnte. Mit der Zeit kam aber auch die Trabi-Liebe wieder. Youngtimer-Fans entdeckten das Fahrzeug für sich. In Berlin kann man heute etwa Trabi-Safaris buchen, um ostalgisch durch die Metropole zu knattern. Knapp 35 000 Rennpappen rollen aktuell noch über Deutschlands Straßen. Für den offenen Trabant, die einstige Kübel-Version der Volksarmee, werden sogar bis zu 10 000 Euro geboten. Kein Wunder, kein anderes Auto weckt so viel Sympathie wie der Trabi. Anderthalb Jahre bin ich übrigens meinen mitternachtsblauen Trabi gefahren. Dann habe ich ihn verschenkt. Sein Zweitakter-Geruch steckt mir aber heute noch in der Nase.

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