Hemmschwelle für Beschwerden sinkt

Saarbrücken · Die Bahn hat 2013 mit so vielen Beschwerden zu kämpfen gehabt wie noch nie. Doch auch andere Branchen müssen sich mehr mit Reklamationen auseinandersetzen. Eine Ursache sind geringere Hemmschwellen von Kunden, sich zu beklagen. Viele Unternehmen reagieren mit Kulanz und besseren Angeboten.

. Ob Verspätungen, Zugausfälle oder mangelnder Service: Noch nie musste sich die Deutsche Bahn mit so vielen Beschwerden auseinandersetzen wie 2013. Zwar konnte nach Angaben des Unternehmens ein Großteil davon zur Zufriedenheit des jeweiligen Kunden geregelt werden, viele Reklamationen landeten aber auch erst einmal vor der Schiedsstelle.

Die Zahl der Beschwerden ist auffällig, auch in anderen Branchen, wie Recherchen unserer Zeitung ergaben. Experten, die schon lange Jahre im Geschäft sind, sehen in diesem Trend nicht nur sachliche Gründe, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen. Die Hemmschwelle zu Beschwerden und auch der Grad des Vorfalls sänken immer weiter. Möglicherweise auch, weil man Frust ablassen will. Manfred Tuillier, seit 1970 in der Reisebranche tätig und Chef des Unternehmens Feibel & Tuillier, hat einen klaren Verursacher ausgemacht: das Privatfernsehen und das Privat-Radio. "Brutal ausgedrückt: Seit es die Privaten gibt, wird der reale Bürger, sobald er nicht auf die Barrikaden geht und sich beschwert, für doof erklärt", so Tuillier. Es bestehe kein Grund, Verbraucher mit teilweise fragwürdigen Sendungen aufzuhetzen. Wenn jemand wirklich einen Grund zur Beschwerde sieht, werde etwa von seriösen Reiseveranstaltern stets versucht, eine Lösung zu finden, die den Kunden zufriedenstellt, möglichst schon dort, wo die Reklamation entsteht.

Über ähnliche Erfahrungen berichtet Katharina Steinbach, die Pressesprecherin der Gesundheitskasse Barmer GEK Saarland/Rheinland-Pfalz. "Seit es die Krawallformate im Privatfernsehen gibt, steigt die Zahl der Beschwerden. Da gibt es Redakteure, die mit vorgefertigten Meinungen an Themen rangehen und ungeprüft die Meinungen von Betroffenen übernehmen", kritisiert sie. Ausdrücklich in Schutz nimmt Steinbach dagegen Öffentlich-Rechtliche Sender wie den SWR und den SR. "Da hat man Zeit zu reagieren und auch unsere Sicht darzustellen." Es sei falsch zu glauben, "unsere Sachbearbeiter würden Entscheidungen auswürfeln. Es gibt klare Vorschriften, zum Beispiel das Sozialgesetzbuch." 90 Prozent der Beschwerden, die über Medien eingehen, beträfen benötigte Hilfsmittel. Generell werde jede Beschwerde elektronisch erfasst und schnellstmöglich bearbeitet. Mittlerweile äußerten viele Verbraucher ihre Ansichten und Beschwerden auch über Facebook. "Ein Großteil der Beschwerden kommen abends. Dieses Medium funktioniert mit riesiger Geschwindigkeit. Deshalb haben wir unsere Online-Redaktion inzwischen rund um die Uhr besetzt, um reagieren zu können.

Auch die Pressesprecherin des Reiseveranstalters Tui, Kathrin Spichala bestätigt ein geändertes Beschwerde-Management. Hier werde vor Ort angesetzt. Da über 70 Prozent aller Reklamationen die Urlaubs-Hotels betreffen, seien Reiseführer vor Ort mit einem größeren Etat ausgestattet, der es ihnen ermöglicht, sofort zu reagieren. Mit einem Gutschein für einen Ausflug oder sonstigen Annehmlichkeiten.

Strengere Vorgaben

Nach der Service-Qualität des Personals, dem Zustand der Ferienanlage und der Qualität des Essens folge erst auf Platz vier in der Prioritätenliste der Urlauber das Zimmer. Zudem setze die Tui strengere Vorgaben. Wegen mangelnder Qualität "haben wir uns in den vergangenen Jahren bereits von rund 80 Hotels getrennt". Spichala bestätigt eine Erfahrung: Kunden, die sich beschweren, seien im Nachhinein treuere Kunden, wenn man sich ernsthaft um ihr Anliegen kümmert.

Die Air Berlin erhöht laut Pressesprecherin Theresa Krohn gerade die Qualitätskontrolle. "40 Mitarbeiter werden diese Aufgaben in der extra dafür geschaffenen Abteilung Customer Satisfaction wahrnehmen und den Kundenservice stetig ausbauen." Fabian Schulz vom Landesverband Einzelhandel und Dienstleistung an der Saar bemerkt eine sinkende Beschwerde-Hemmschwelle beim Möbelkauf. "Beim Einbau neuer Küchen schauen die Kunden sehr genau hin und verzögern auch Zahlungen." Zudem "treffen sonntags Reklamationen per E-Mail ein und montags folgt die Frage, wo der Monteur bleibt."

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