„Helden der Krise“

Sintra · Die Experten der Europäischen Zentralbank (EZB) wollen in aller Ruhe nachdenken. Der äußerliche Rahmen in Sintra stimmt. Ganz aussperren kann die EZB die Aktualität bei ihrem Gastspiel in Portugal aber nicht.

Eigentlich hätte es eine beschauliche Veranstaltung werden können, diese erste große, bis heute laufende Notenbank-Konferenz der EZB im portugiesischen Sintra. Wären da nicht die Sorgen um die niedrige Inflation im Euroraum und deren Risiken für die wirtschaftliche Gesundung des Kontinents. Die Märkte erwarten von der Europäischen Zentralbank (EZB) wieder einmal Antworten.

Die Krise habe Zentralbanker zu Erfindern gemacht, stellte Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), beim Festessen der versammelten Finanzwelt am Sonntagabend fest: "Für mich sind Sie, die Zentralbanker, die Helden der Krise. Und Sie haben das Potenzial, das zu bleiben." EZB-Präsident Mario Draghi hatte im Herbst 2012 mit seiner Ankündigung, notfalls unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen, die Gemeinschaftswährung entscheidend stabilisiert.

Nur zu gerne hätten Draghi und seine 150 Gäste in Sintra die Aktualität für ein paar Tage ausgesperrt. Mit Bedacht hatte die EZB den Tagungsort ausgewählt: nur knapp eine halbe Autostunde vom Flughafen der pulsierenden Hauptstadt Lissabon entfernt und doch ein abgelegenes Idyll inmitten bewaldeter Hügel. Mit Gegenwind, das war Draghi im Grunde klar, würden die Notenbanker, Ökonomen und Politiker angesichts der drängenden Fragen selbst in der Klausur ihres abgeschirmten Luxushotels rechnen müssen. "Unsere Chance, uns vom aktuellen Druck freizumachen, ist geringer als wir gedacht haben", sagte Draghi gestern. Und so sah sich Europas oberster Währungshüter denn gezwungen, ausführlich die Bereitschaft der EZB zu bekräftigen, sich bei Bedarf mit Macht gegen niedrige Teuerungsraten im Euroraum zu stemmen. "Wir werden nicht zulassen, dass die Inflation zu lange auf zu niedrigem Niveau bleibt."

Im April lag die Teuerungsrate bei 0,7 Prozent. Es gebe durchaus das Risiko, dass sich die Erwartung sinkender Teuerungsraten durchsetze, erklärte Draghi. Verbraucher sowie Unternehmen könnten dann Investitionen aufschieben und die konjunkturelle Erholung bremsen. "Es ist unsere Verantwortung, die Risiken für dieses Szenario zu sehen und bereit zu sein zum Eingreifen, falls notwendig." Die Erfahrung zeige, dass das sehr schnell passieren könne, "vor allem wenn das Ziel der Geldpolitik nicht klar ist". Damit die Geldpolitik wirke, sei der richtige Zeitpunkt zum Handeln entscheidend. Weil Schritte der Notenbank oftmals erst mit Zeitverzögerung wirkten, könnten "vorbeugende Maßnahmen" gerechtfertigt sein, sagte Draghi.

Auch wenn er klarmachte, dass es keine einfachen Antworten gibt, werden die Vertreter internationaler Organisationen wie dem IWF und der Industriestaaten-Organisation OECD die Botschaft gerne hören. Nicht zuletzt sie drängten die EZB in den vergangenen Wochen dazu, angesichts niedriger Inflation und starkem Euro weitere Wachstumsimpulse zu setzen. Lagarde wies in Sintra einmal mehr darauf hin, dass Zentralbanken über einen prall gefüllten Werkzeugkasten verfügen.

Vieles deutet darauf hin, dass der EZB-Rat bei seiner nächsten Sitzung am 5. Juni das Geld im Euroraum noch billiger machen wird, obwohl der Leitzins mit 0,25 Prozent fast schon bei Null liegt. Beobachter rechnen mit einer Senkung des Zinssatzes, zu dem sich Kreditinstitute Geld bei der Zentralbank leihen können, auf 0,15 Prozent. Sollten sich die Notenbanker zudem dazu durchringen, den Geschäftsbanken Strafzinsen für Gelder abzuknöpfen, die diese bei der EZB parken, würde die Zentralbank schon wieder unter Präsident Draghi Neuland betreten.

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