Diskussionen im Netz Hasskommentare setzen Medien zu

Berlin · Täglich müssen viele Redaktionen mit tausenden Nutzermeinungen umgehen. Der Deutschen Welle wurde das zu viel.

 Die Netzauftritte der Medien sind Ziel von immer mehr  Beleidigungen und Pöbeleien, die eine Diskussion unmöglich machen.   

Die Netzauftritte der Medien sind Ziel von immer mehr  Beleidigungen und Pöbeleien, die eine Diskussion unmöglich machen.  

Foto: dpa/Britta Pedersen

Die ersten Kommentare zu aktuellen Berichten sind im Internet schon morgens zu lesen. Ob Abschiebungen aus Bayern oder der Handelsstreit zwischen der Türkei und der USA – es gibt kaum ein Thema, das auf Medienseiten im Netz nicht gleich von meinungsfreudigen Zeitgenossen kommentiert würde. Einzelne Berichte kommen schnell auf eine dreistellige Zahl an Kommentaren. Die Alias-Namen der Autoren wie „Old Lästervogel“ oder „Superschlau“ deuten an, dass hier Menschen gerne ihre Meinung sagen. Und das ist noch harmlos. Oft gleiten solche Meinungsäußerungen in Beleidigungen oder hasserfüllte Pöbeleien ab. Die Deutsche Welle (DW) hat vor einer Woche die Notbremse gezogen und die Kommentarfunktion auf ihrer Seite weitgehend eingeschränkt.

„Diese Entscheidung ist uns schwer gefallen. Denn gerade die Deutsche Welle kämpft ja für einen offenen, kritischen Austausch von unterschiedlichen Argumenten, für die weltweite Pressefreiheit“, schrieb dazu Ines Pohl, die Chefredakteurin des deutschen Auslandssenders. „In letzter Zeit haben die überwiegenden Beiträge allerdings ein solches Niveau erreicht, dass sie mit einem konstruktiven Meinungsaustausch nichts mehr zu tun haben.“ Pohl weist auf den erheblichen Aufwand hin, den es mache, die Kommentare zu prüfen. Medien sind dazu verpflichtet, andere Webseiten haben das gleiche Problem.

ARD-aktuell, verantwortlich für Sendungen wie „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, beobachtet eine stetig ansteigende Zahl an Kommentaren, insbesondere in den sozialen Medien. „Zwischen 12 000 und 15 000 Kommentare erreichen unsere Redaktion pro Tag, fast doppelt so viele wie 2016“, so ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke. Der Grund dafür sei das gestiegene Interesse an den Berichten etwa der „Tagesschau“ in den sozialen Medien.

Damit steige aber auch der Aufwand, die Mengen an Kommentaren im Blick zu behalten. „Auch wir stellen uns immer öfter die Frage: Können wir das überhaupt noch leisten?“, erklärte Gniffke. „Denn unser zentraler Auftrag, wie er im Rundfunkstaatsvertrag steht, ist es ja, die Menschen zu informieren. Und dabei dürfen wir keine Abstriche machen.“

Bei „Spiegel Online“ und der zugehörigen Facebook-Seite geben Besucher jeden Tag „eine deutlich fünfstellige Zahl“ an Kommentaren ab, so Thorsten Beeck, der dort unter anderem für die Zusammenarbeit mit sozialen Medien verantwortlich ist. Aber Beeck argumentiert auch: „Wir sehen den Austausch mit unseren Nutzerinnen und Nutzern ganz klar als Chance, nicht als Problem. Wir investieren in den Dialog, weil es unserem Verständnis entspricht, dass diese Art der Interaktion rund um einen Inhalt zum journalistischen Produkt gehört.“

Auch ARD-aktuell will möglichst keine Abstriche beim Umgang mit Nutzerbeteiligung machen – und setzt deshalb auch auf technische Lösungen. So sollen beispielsweise Farbfilter den Redakteuren nicht nur Kommentare anzeigen, in denen sich Zuschauer mit Fragen an die „Tagesschau“ wenden, sondern auch signalisieren, wenn Netiquette-Verstöße darunter sind. Nur so gebe es noch eine Chance, die vielen Anmerkungen der Zuschauer und Nutzer redaktionell aufzunehmen, so der ARD-aktuell-Chefredakteur.

„Inzwischen sehen wir bei kontrovers diskutierten Themen wie Migration, Feminismus oder der Lage im Nahen Osten häufig ein Auseinanderdriften der Meinungen in zwei Lager“, erklärte Gniffke. „Man liest dann die Extreme, das Schwarz oder Weiß – das Grau, die moderaten, sachlichen Stimmen kommen seltener vor.“ Hinzu komme, dass Interessengruppen versuchten, die Kommentarspalten zu kapern, um ihre Meinung zu verbreiten.

Das sieht DW-Chefredakteurin Ines Pohl ähnlich: „Es sind heute richtige Trollfabriken, die sich die Deutsche Welle vorknöpfen, nicht nur einzelne Frustrierte, die nachts am Laptop sitzen.“ Das Ziel bei der Deutschen Welle sei aber nicht, deshalb gar keine Kommentare mehr zuzulassen. „Punktuell werden wir das auch weiterhin machen. Es geht uns um Priorisierung“, betont Pohl. Kommentare nur noch bei ausgewählten Themen – auf diese Weise will der Sender das Niveau der Diskussionen deutlich verbessern. Und auch bei auf Facebook geposteten DW-Beiträgen bleibt es Nutzern es möglich, ihre Meinung zu veröffentlichen.

Die Reaktionen auf die Entscheidung, die Kommentarfunktion deutlich einzuschränken, seien überwiegend positiv ausgefallen, berichtet DW-Sprecher Christoph Jumpelt. „Es gab reichlich Zuschriften, zu 80 Prozent voller Verständnis, aber auch einige hämische oder zynische Bermerkungen.“

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte, mehr qualifizierte Journalisten für die Moderation von Kommentaren und Beiträgen in Online-Foren einzustellen. „Dass die Deutsche Welle ihre Kommentarfunktion im Internet wegen der Flut von Hasskommentaren abgeschaltet hat, muss als Alarmsignal für alle Digitalseiten von Medien wahrgenommen werden“, so der DJV-Vorsitzende Frank Überall.

„Wir treiben einen enormen Aufwand“, sagte DW-Sprecher Christoph Jumpelt dazu, „und geben personell, was wir können, damit diese Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen.“

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